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Echtzeit

Echtzeit

Titel: Echtzeit
Autoren: Sarah Reitz
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musste hier raus, bevor alles, was sie erlebt und verdrängt hatte, wie ein Kartenhaus über ihr zusammenbrach.
    Nina stand auf. »Du kannst mich mal kreuzweise, Tom Nowak! Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben. Du bist so sexgeil, dass du noch nicht mal die Flossen von meinem besten Freund lassen konntest.« Sie stapfte davon.
    Er eilte ihr hinterher und packte sie an der Stelle, an der ihr Tattoo war. »Du hörst mir jetzt zu!«
    Patsch! Ohne Vorwarnung hatte sie ihm eine deftige Ohrfeige verpasst.
    Hatte sie das gerade wirklich getan? Voller Entsetzen hielt sie sich die Hand vor dem Mund und ging zwei Schritte zurück. Tom sagte keinen Ton. Sah sie nur mit einem Blick an, in dem sich sowohl Wut als auch Schwermut widerspiegelten.
    »Ich … ich …«, stammelte sie.
    Diesmal war es an Tom, abwehrend die Hand zu heben. »Gut. Dann reden wir nicht. Lassen wir es bleiben. Du kannst dich weiter in deinem Bunker verkriechen und ich werde mir die nächstbeste Tussi angeln, die mir über den Weg läuft. Und zwar eine mit Busen. Auf Männer stehe ich nämlich nicht. Habe ich nie getan und werde es auch nie.« Seine Worte klangen eiskalt und berechnend. Jede einzelne Silbe schnitt tief in ihr Herz.
    Er wandte sich ab und bückte sich. »Lolli anzufassen oder mich von ihm anmachen zu lassen, würde mir nicht mal im Traum einfallen. Ich hab in seinem Bett gepennt, weil ich besoffen war. Wo er war, weiß ich nicht mal.«
    Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
    Tom erhob sich just in diesem Moment wieder und ein dumpfer Knall ertönte. Nina schrie vor Schreck und Schmerz auf. Zum zweiten Mal in ihrem Leben hatte er ihr nun den Gitarrenkoffer gegen den Kopf geknallt. Erneut blutete sie – an derselben Stelle.
    »Oh Gott, Nina.«
    »Schon gut«, flüsterte sie, aber die Qualen waren ihr anzuhören.
    »Lass mal sehen.« Er fasste sie am Handgelenk und führte sie zum Sofa, auf das das Sonnenlicht schien. Tom legte den Koffer vor ihren Füßen ab, nahm sich ein Tuch aus der Box vom Tisch und setzte sich dann zu ihr auf die Couch. Vorsichtig tupfte er die Wunde ab. »Tut's sehr weh?«, fragte er fürsorglich.
    Sie wiegte langsam den Kopf hin und her. Sie teilte ihm nicht die Wahrheit mit, weil sie nicht wollte, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. In Wahrheit dröhnte ihr Kopf wie nach einer mit Whiskey und Zigaretten durchtränkten Partynacht. Nur wenn sie ihm das sagte, würde er sie nicht mehr gehen lassen. Aber sie wollte nicht von ihm behütet und umsorgt werden. Sie wollte mit sich und ihrem Schmerz alleine sein. So, wie sie es immer war, wenn es ihr nicht gut ging.
    Nina war im Begriff, sich wieder in sich zurückzuziehen, weil sie es nicht anders kannte. Ihr Vater war kein schlechter Mensch gewesen. Er hatte sie geliebt, davon war sie überzeugt. Nur war er ständig mit sich und seiner Musik beschäftigt gewesen. Dabei hatte er zu leicht übersehen, wenn seine Tochter wegen irgendwas Höllenqualen gelitten hatte. Ja, sie hatte schon früh lernen müssen, auf sich aufzupassen und für sich selbst zu sorgen. Erst als ihr Dad krank geworden war, hatte er gemerkt, wie einsam seine Kleine war. Für sie war es jedoch zu spät. Sie hatte schlichtweg nie gelernt, sich anderen mitzuteilen.
    Ein Blick in ihre Augen genügte und Tom wusste, wie es gerade um sie stand. Nur war er nicht gewillt, es wieder zuzulassen. »Es ist zum Glück nur ein Kratzer auf der alten Narbe.« Während er das sagte, bückte er sich und hob den Gitarrenkoffer hoch. Langsam legte er ihn auf den Tisch vor ihr. »Mach auf«, forderte er sie auf.
    Sie zögerte, doch seine aufmunternden Blicke verleiteten sie schließlich dazu, die Schnallen zu lösen. Sie hob den Deckel an und zum Vorschein kam ihre Gitarre.
    »Das ist ja meine!« Ihre Stimme verriet, wie überrascht, aber auch wie erbost sie darüber war.
    »Nimm sie raus und sieh sie dir genauer an.«
    »Wie kommst du da dran?«, herrschte sie ihn an.
    »Lolli hat sie mir gegeben. Er hat mich darum gebeten, einiges zu reparieren.«
    Nachdem sie ihm einen argwöhnischen Blick zugeworfen hatte, griff sie ganz vorsichtig danach. Sanft umschlossen ihre Finger den Griff. Es fühlte sich gut an, das abgegriffene Holz wieder in ihrer Hand zu halten. Sie hob das Instrument an und legte es auf ihrem Schoß ab.
    »Der Riss ist weg.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihre Fingerkuppen strichen über das frische Holz, das nun ihr Instrument wieder verschloss. Wie automatisiert schlug sie die Saiten an. Die
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