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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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richtete sie hin zu der Seite, wo Vukovi ć stand, und drückte ab.» – «Da wurden ihnen die Köpfe abgeschnitten und auf Pfähle gesteckt.» – «Ihre Körper aber warf man von der Brücke in die Drina.» – Und zum Schluss noch einmal der Satz «Ja, Bosnien ist das Land des Hasses.»
    Ich blickte auf. Adnan sah mich fragend an.
    «Würdest du mir jetzt bitte erklären, was das Ganze soll?»
    «Stell dir vor, du bekämst diese drei Briefe zugeschickt. Ohne Absender, ohne Unterschrift. Was würdest du denken?»
    «Ich weiss nicht …»
    «Komm schon, versetz dich in die Lage!»
    Adnan nahm einen Schluck.
    «Nun?»
    «Ich würde denken, dass mich jemand bedrohen möchte.»
    «Siehst du, genau das hat der Empfänger auch gedacht.»
    «Aber was sollen diese seltsamen Sätze?»
    «Es sind Zitate.»
    «Zitate?»
    «Erkennst du keines?»
    «Du bist hier der Literat.»
    Ich trank und behielt das Glas in der Hand: «Ich glaube, sie stammen von Ivo Andri ć .»
    «Du meinst das mit den Leichen, die sie in die Drina werfen.»
    «‹Die Brücke über die Drina›, genau. Dafür hat er den Nobelpreis erhalten.»
    Ich erzählte Adnan von meinem Gespräch mit Brechbühl und dass ich mich als Privatdetektiv ins Telefonbuch hatte eintragen lassen. Als der Name Slavkovi ć fiel, horchte er auf.
    «Kennst du ihn?»
    «Ich weiss, wer er ist. Er hat ein Geschäft, das Busreisen auf den Balkan organisiert. Man kann bei ihm auch Geld überweisen, glaub ich. Mein Vater behauptet, er habe mit Drogen und Prostitution zu tun.»
    «Ah ja?», fragte ich interessiert.
    Adnan winkte ab. «Du kennst doch meinen Vater, für ihn haben seit dem Krieg alle Serben irgendwas mit dem organisierten Verbrechen zu tun.»
    Ich erkundigte mich, ob Adnans Familie auch schon bei Slavkovi ć gebucht habe. Er verneinte. Seit sein Vater ein Auto habe, seien sie jeweils selbst gefahren.
    «Und zuvor?»
    «Zuvor haben wir bei Taliqi gebucht.»
    «Wie heisst der?»
    «Taliqi, Mehmet Taliqi. Kosovare, er lebt schon lange hier. Mein Vater lässt über ihn Geld an die Verwandten in Bosnien zukommen.»
    Ich schrieb mir den Namen auf.
    Nach und nach kamen wir auf andere Dinge zu sprechen. Wir tranken noch einige Flaschen Bier, und Adnan half mir eine Schachtel Zigaretten leeren. Die Kellnerin, die sich zwischendurch zu uns setzte und plauderte, wurde von Viertelstunde zu Viertelstunde hübscher. Es wurde trotzdem nicht zu spät. Adnan musste anderntags früh zum Training.
    Ich betrat den Raum und sah mich um. Endlich hatte ich sie gefunden: Sie hatte sich an die Wand gelehnt und schien mich erwartet zu haben. Ich ging auf sie zu. Sie lächelte wissend, ihr Gesicht war ganz nah. Ihre Augenlider sanken wie Rollläden an heissen Tagen, ihre Lippen schimmerten feucht.
    Plötzlich begann sie aus unerfindlichen Gründen zu schreien. Sie brüllte aus voller Kehle und hatte die Augen weit aufgerissen. Während sie diesen scheusslichen Schrei zum dritten Mal ausstiess, merkte ich, dass das Telefon klingelte. Ich blieb liegen und harrte aus, bis der Beantworter einschaltete. Dann drehte ich mich auf die andere Seite und versuchte dort anzuknüpfen, wo ich unterbrochen worden war. Als ihr Gesicht im Nebel der Imagination allmählich Gestalt annahm, begann das Telefon erneut zu klingeln. Ich drehte mich auf den Rücken, weigerte mich aber, die Augen zu öffnen. Vielleicht gabs einen Schalter, womit ich den Klingelton verändern konnte. Oder wenigstens die Lautstärke. Beim dritten Anruf stand ich auf.
    «Ja?», fauchte ich.
    «Hab ich dich geweckt?»
    «Was willst du?»
    «Es ist bereits halb elf.»
    «Na und?»
    «Ich bin seit vier Stunden auf …»
    «Na und?»
    «Ich komm gerade vom Training. Ein wunderschöner Tag – kein Wölkchen am Himmel. Einen so schönen Morgen verbringt man doch nicht im Bett!»
    Ich hatte nie begriffen, wie Frühaufsteher zu ihrem Selbstverständnis kamen. Mir wäre es ja auch nicht in den Sinn gekommen, jemanden um zwei in der Früh anzurufen, nur weil die Sterne gerade so schön funkelten.
    «Was willst du?»
    «Ich sitze im ‹Gerliswil›, trinke einen Kaffee, blättere dazu die Zeitung wie üblich von hinten durch und – rat mal, worauf ich da stosse!»
    Ich war inzwischen mit dem verknoteten Kabel von der Küche ins Schlafzimmer gelangt, hatte das Gerät neben die Matratze gestellt und die Decke bis ans Kinn hochgezogen.
    «Keine Ahnung, vielleicht verrätst dus mir ja …»
    «Ich blättere also die Seiten um, überfliege dies und das, komme
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