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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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zum Regionalteil und – du wirst nicht glauben, was ich da lese …»
    Ich gähnte und prüfte, ob die Sprechmuschel in meinen Mund passte.
    «Mord in Emmenbrücke! So die Überschrift. Im Rotlichtmilieu, geschehen vorgestern Nacht. Und jetzt das: Es handelt sich um einen Mann aus Exjugoslawien, wie sich die Pressefritzen ausdrücken. Er wurde enthauptet.»
    «Enthauptet?!» Ich hatte mich im Bett aufgerichtet.
    «Jawohl, enthauptet. Ist das nicht unglaublich?»
    «Scheisse! Scheisse. Und du erzählst keinen Mist?»
    «Mit so was spass ich nicht. Kannst es ja nachlesen. Du bist doch Abonnent.»
    «Ja, ich …» Ich war hellwach. «Weisst du was, ich ruf dich später zurück.» Ich legte auf und stieg in die Jeans, die über der Stuhllehne hingen. Dann streifte ich mir ein T -Shirt über und ging barfuss das Treppenhaus hinunter. Der Hauswart war ein seit über zwanzig Jahren in der Schweiz lebender, überassimilierter Kroate, und ich hätte auf den Stufen mein Konfibrot streichen können, so sauber waren sie.
    Noch im Treppenhaus überflog ich die Schlagzeilen. «Mord in Emmenbrücke» stand dick auf der Frontseite geschrieben. Ich blätterte weiter. Auf der ersten Seite des Regionalteils fand ich den kurzen Beitrag. Ich schloss die Tür und las im Stehen. «Die Hintergründe der Tat sind noch nicht bekannt. Die Polizei geht von einer Abrechnung im Milieu aus.» Ich hatte keine Zweifel. Es musste sich um Slavkovi ć handeln!
    Ich setzte mich an den Küchentisch und zündete mir eine Zigarette an. Meine Hände zitterten, meine Gedanken wirbelten konzeptlos durcheinander. Endlich gelang es einem, sich von den anderen abzusetzen: Slavkovi ć musste nur wenige Stunden, nachdem ich ihn im «Bahnhöfli» getroffen hatte, ermordet worden sein.
    Ich war überrascht, als mir Frau Slavkovi ć öffnete. Ich hatte ein verweintes Häufchen Elend erwartet, das kaum ein Wort hervorbrachte, ohne in Tränen auszubrechen. Statt dessen stand ich einer gefasst wirkenden, korpulenten Frau gegenüber, die kurz abwesend lächelte, als ich mich vorstellte.
    «Kommen Sie herein – die Polizei war heute auch schon hier», sagte sie in gutem, nahezu akzentfreiem Hochdeutsch.
    Ich folgte ihr ins Wohnzimmer.
    Eine breite Fensterfront gab den Blick auf den Pilatus und die östlich anschliessenden Firste der Voralpenkette frei. Auf der anderen Seite der Weide, die unmittelbar an die Einfamilienhäuser anschloss, waren der Bauernhof und eine alte Arbeitersiedlung der Eisenwerke zu erkennen.
    «Möchten Sie einen Kaffee?»
    Als ich vor Jahren zum ersten Mal bei Adnan zu Hause war, hatte ich, als mir seine Mutter ein Stück Kuchen anbot, aus Höflichkeit abgelehnt. Sie solle sich keine Umstände machen, hatte ich gesagt. Dass ich sie damit beleidigte, wurde mir erst bewusst, als mich Adnan nachträglich darauf aufmerksam machte. Seither schlug ich einer südslawischen Gastgeberin nach Möglichkeit nichts mehr aus.
    Frau Slavkovi ć ging aus dem Zimmer. Kurz darauf hörte ich sie in der Küche hantieren.
    Ich sah mich im Wohnzimmer um. Eine wuchtige, dunkel lackierte Wohnwand, darauf allerlei Kleinkram, Fotografien und eine Menge Bücher. Ich studierte die Titel der Werke, zog wahllos eines hervor, blätterte darin und stellte es wieder zurück. Manche waren in kyrillischer Schrift, die meisten aber in lateinischer. Darunter solche in englischer, französischer, italienischer und deutscher Sprache. Letztere war durch kein geringeres als «Das Kapital» vertreten.
    Auf den glatten Marmorfliesen lag ein orientalischer Teppich. Der niedere Glastisch flankiert von zwei schwarzen Armsesseln und längs dazu – an der Wand – ein ebensolches Sofa. Dar über im goldenen Rahmen eine kitschig kolorierte Fotografie, die ein Brautpaar zeigte. Die Frau war etwas grösser als der Mann, auch schien sie älter zu sein. Der Bräutigam blickte aus glasigen Augen und so, als wisse er nicht genau, wozu er fotografiert wird. Es handelte sich zweifelsohne um Zoran Slavkovi ć in jüngeren Jahren. Der Gedanke an sein grausiges Ende machte mich schaudern. Ein anderes Bild zeigte eine naturalistische Darstellung eines Fischerdorfs. In der Wohnung roch es eigenartig, nach künstlichem Vanilleduft oder ähnlich – nach den Duftbäumchen, die sich die Leute in die Autos hängen.
    Als Frau Slavkovi ć mit dem Kaffee aus der Küche kam, setzten wir uns an den Couchtisch. Ich war ein wenig enttäuscht, statt eines türkischen den üblichen Maschinenkaffee serviert zu bekommen.
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