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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Die Täßchen, die Kaffeemaschinen, die Kaffeemühlen und die Gartenstühle wurden stehengelassen, nur die halbvollen Kaffeepakete für das nächste Treffen mitgenommen. Kaffee-Oetiker Fr. 10.15.
    Die Pinguine begannen ihren Rückzug zur Küste, die Teilnehmer der Zusammenkunft flogen mit ihren Helikoptern oder mit ihrem Helikopter davon, Elsi kroch ins Bett, Big-Jimmy war nicht gekommen. Big-Jimmy kam immer nur einmal.
    Am Vormittag suchte Big-Jimmy im Kurhaus Marihuana-Joe. Er hatte ihn nach der Gesichtsoperation nicht mehr gesehen. Niemand hatte ihn gesehen, außer Doc, dem er hin und wieder begegnet war und der Big-Jimmy versichert hatte, Marihuana-Joe sei vor kurzem durch die Gänge des Kurhauses geirrt, Marihuana-Joe suche offenbar Big-Jimmy wie Big-Jimmy Marihuana-Joe, worauf Big-Jimmy seine Streif züge durch das Kurhaus wieder aufnahm und auch die Dependance und die Vorratskammer absuchte und sogar die Waschküche durchforschte, wo Alaska-Pint in Vollnarkose lag. Wieder in der Halle, kam ihm Doc entgegen und rief ihm zu:
    »Marihuana-Joe, Big-Jimmy sucht dich.« Wer suche wen?
    fragte Big-Jimmy verblüfft, und auf die Antwort Docs, er habe vor einer halben Stunde Big-Jimmy im obersten Stockwerk getroffen, und der habe ihn gefragt, wo er, Marihuana-Joe, sei, rief er aus, er sei doch Big-Jimmy!
    »Teufel«, sagte Doc und starrte Big-Jimmy an. »Ich habe dich verwechselt.«
    »Mit wem?«
    »Mit Marihuana-Joe.«
    »Der sieht doch ganz anders aus als ich«, sagte Big-Jimmy.
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    »Jetzt nicht mehr«, entgegnete Doc stolz, »da ist mir aber ein Meisterwerk gelungen, ich habe Manhuana-Joe operiert. Jetzt sieht Marihuana-Joe aus wie Big-Jimmy.«
    »Jener sieht aus wie ich«, stammelte Big-Jimmy, »warum hast du das getan, Doc?«
    Sie seien die besten Killer des Syndikats, war die Antwort, wenn der eine in San Diego jemanden beseitige, und der andere sei in Boston, habe der in San Diego ein handfestes Alibi. So, sagte Big-Jimmy mißtrauisch, aber dann nehme ihn doch wunder, wo Marihuana-Joe stecke, doch antwortete Doc nicht, sondern starrte nach der Eingangstüre der Halle. Alle starrten dorthin: Durch die weit offene Türe war Moses Melker gekommen und dort stehengeblieben, wie immer sorgfältig schwarz gekleidet, ein weißer dicker Buschneger im Konfirmandenanzug, ein Köfferchen in der Hand.
    Moses Melker war verwirrt. Er hatte das Kurhaus leer geglaubt und das Hauptportal mit seinem Schlüssel geöffnet.
    Er hatte böse Tage hinter sich. Der Arzt von Bubendorf hatte kopfschüttelnd den Totenschein ausgefüllt. Daß eine sich mit Pralinen zu Tode stopfte, sei ihm noch nie vorgekommen, hatte er gemeint und gefragt, ob die Tote jemals etwas anderes als Pralinen gegessen habe. Er glaube nicht, hatte Melker wehmütig geantwortet. Cäcilie wurde neben Emilie auf dem Grienwiler Friedhof begraben, die Leiche Ottiliens hatte der Nil nie freigegeben. Cäcilie war die letzte Räuchlin gewesen.
    Die Villa samt dem Vermögen, das der Arme Moses ihr überschrieben hatte, um arm zu bleiben, war wieder auf den Witwer zurückgefallen wie der Ring des Polykrates auf den Polykrates. Er gehörte nun endgültig als Multimillionär ins
    ›Haus des Reichtums‹, und so hatte er beschlossen, wenigstens über Weihnachten die entschwundene Armut als Gnade im 98
    Kurhaus noch einmal zu genießen. Doch August zu bitten, ihn mit dem Rolls-Royce hinzufahren, hatte ihm nicht passend geschienen. Arm wollte er einkehren. Er hatte bis Bern den Bummelzug genommen, den Schnellzug zweiter Klasse bis Zürich, und sich gegen die selbstauferlegte Bescheidenheit auflehnend, war er nach der Kantonshauptstadt erste Klasse gefahren und hatte dort ein Taxi genommen. Er hatte nur den Wunsch gehabt, allein zu sein, im Verborgenen zu sein, zu vergessen, still Weihnachten zu feiern, an den Großen Alten zu denken. Doch wie er in der Kurhaushalle stand, wohin die Sofas und Fauteuils vom Boden der Dependance wieder heruntergeschafft worden waren, worin sich nun Männern flegelten, von denen etwas Bedrohliches, Tödliches ausging, wagte er kaum zu atmen. Aber nicht nur Moses Melker, alle waren verblüfft. Niemand rührte sich. Am besten war es wohl, den Kerl gleich niederzuschießen, dachten die meisten, aber die Revolver und Maschinenpistolen waren noch auf dem Boden der Dependance versteckt. Endlich erhob sich Baby Hackmann schwerfällig, ging gemächlich auf Melker zu, blieb vor ihm stehen und fragte ihn, beide Hände auf dessen Schulter legend, nahe beim
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