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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum
Autoren: Madeleine L'Engle
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    *
    Sie stützte sich auf Megs Schulter, richtete sich auf und flüsterte dem Feuer zu:
    *
    » … Ist mir nur Gottes Hilfe gewiß,
    so ruf ich euch alle und stell mich entgegen
    wider die Mächte der Finsternis .«
    *
    Jetzt klang es wie ein Triumph, als sie rief: »Das wird’s dem Mad Dog Bran-Bran-irgendwas geben!«
    Die Zwillinge tauschten vielsagende Blicke. Herr Murry schnipselte am Truthahn herum. Frau Murrys Gesicht war ernst, aber abweisend. Charles Wallace betrachtete Frau O’Keefe intensiv und nachdenklich. Meg stand auf und setzte sich wieder an ihren Platz, um den schmerzenden Fingerkrallen zu entkommen. Wahrscheinlich hatte sie ein paar blaue Flecke davongetragen.
    Als sie Megs Stütze verlor, sackte Frau O’Keefe in sich zusammen. Sie ließ sich in ihren Stuhl fallen. »Sie gab viel drauf, meine Großmutter. Hab’s fast vergessen. Hab’s vergessen wollen. Komisch. Warum fällt’s mir jetzt wieder ein?« Sie grunzte, als hätte sie die Anstrengung alle Kraft gekostet.
    »Ein hübsches Lied«, sagte Sandy.
    »Kein Lied«, widersprach Frau O’Keefe. »Eine Rune. Patricks Rune. Wider die Mächte der Finsternis . Hält böse Geister ab.
    *
    In der Stunde, die alles entscheiden kann,
    ruf ich die Mächte des Himmels an… «
    *
    Ohne Vorwarnung ging das Licht aus. Ein Windhauch streifte den Tisch, und die Kerzen verloschen. Auf einmal war es kalt und feucht-klamm im Raum, und es roch nach Fäulnis. Die Flammen im Kamin erstarben.
    »Sag sie auf, Mom!« rief Charles Wallace. »Die ganze Rune! Rasch!«
    »Hab sie vergessen…«, klagte sie mit zittriger Stimme.
    Der Blitz war so hell, daß er selbst durch die Ritzen der Fensterläden und die vorgezogenen Gardinen schimmerte. Fast gleichzeitig folgte der ohrenbetäubende Knall des Donners.
    »Wir sagen sie gemeinsam auf.« Charles ließ nicht locker. »Aber du mußt mir helfen. Also, los:
    *
    In der Stunde, die alles entscheiden kann,
    ruf ich die Mächte des Himmels an… «
    *
    Wieder ein Blitz und unmittelbar darauf der Donner. Draußen ächzte und splitterte etwas.
    »Der Blitz hat in einen Baum eingeschlagen«, sagte Herr Murry.
    » … die Mächte des Himmels «, wiederholte Charles Wallace.
    Frau O’Keefe griff seine Worte auf: » Ich rufe die Sonne im gleißenden Brand… «
    Dennys rieb ein Streichholz an und hielt es an die Kerzen. Erst flackerten die Flammen unwillig, aber dann richteten sie sich auf und brannten hell und gleichmäßig.
    *
    » … ich rufe den sanftweißen Schnee überm Land.
    Ich rufe das Feuer in lodernder Helle,
    ich rufe den Blitz in zorniger Schnelle… «
    *
    Meg wartete geradezu auf den Blitz, wartete darauf, daß er ins Haus fuhr – aber statt dessen gingen ebenso unvermittelt wie sie erloschen waren die Lichter wieder an. Im Zimmer war es warm und hell wie zuvor.
    *
    » … ich rufe die Winde auf all ihren Wegen,
    und der Meere tiefe Gründe,
    und der Felsen steile Schrunde,
    und der Erde Stärke und Segen.
    Ist mir nur Gottes Hilfe gewiß,
    so ruf ich euch alle und stell mich entgegen
    wider die Mächte der Finsternis .«
    *
    Charles Wallace schob eine Gardine zur Seite und spähte durch die Ritzen im Fensterladen. »Aus dem Regen ist Schnee geworden. Draußen ist alles weiß und schön.«
    »Na gut…« Sandy schaute in die Runde. »Was hat das alles zu bedeuten? Irgend etwas ist passiert, keine Frage. Aber was?«
    Erst schwiegen alle. Dann sagte Meg: »Vielleicht – können wir jetzt wieder hoffen.«
    Sandy winkte ab. »Meg, ich bitte dich! Sei doch vernünftig!«
    »Warum? Leben wir denn in einer vernünftigen Welt? Ist ein Atomkrieg vernünftig ? Mit all unserer Vernunft haben wir es zu nichts gebracht.«
    »Aber man kann sie trotzdem nicht einfach leugnen. Verrückt und keiner Vernunft zugänglich ist nur Branzillo.«
    Dennys sagte: »Akzeptiert, Sandy. Erkläre mir lieber, was soeben passiert ist.«
    Meg sah zu Charles Wallace hinüber, aber sein Blick war verschlossen, ganz nach innen gerichtet.
    Sandy nahm Dennys’ Herausforderung an. »Keine Illusionen! So schön das auch wäre, hat eine plötzliche Laune des Wetters hier bei uns im Nordosten der Vereinigten Staaten absolut nichts damit zu tun, ob ein südamerikanischer Selbstmörder auf den Knopf drückt oder nicht und damit einen Krieg auslöst, der wahrscheinlich der letzte aller Kriege wäre.«
    Das Baby in Megs Bauch gab ein kräftiges Lebenszeichen von sich. »Vater, ruft der Präsident noch einmal an?«
    »Er hat gesagt, er wird sich melden,
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