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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum
Autoren: Madeleine L'Engle
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steckt mehr als man ihr äußerlich ansieht; aber davon habe ich noch nie etwas bemerkt. Ich spüre nur, daß sie mich ebensowenig mag wie unsere ganze Familie. Ich begreife nicht, warum sie heute gekommen ist; mir wäre lieber gewesen, sie hätte es bleiben lassen.
    Aus alter Gewohnheit hatten die Zwillinge damit begonnen, den Tisch zu decken. Sandy machte eben mit den Gabeln die Runde. Er feixte. »Das Festessen am Thanksgiving Day ist offenbar das einzige, das Mutter in der Küche kocht —«
    »— und nicht auf dem Bunsenbrenner im Labor«, pflichtete Dennys ihm bei.
    Sandy tätschelte ihr liebevoll die Schulter. »Was natürlich kein Vorwurf gewesen sein soll, Mutter.«
    »Immerhin hat dich der Bunsenbrenner-Eintopf geradewegs zum Nobelpreis geführt. Wir sind wahnsinnig stolz auf dich, Mutter – und auf Vater, obwohl ihr uns die Latte ganz schön hoch gelegt habt.«
    »Das stellt schließlich auch uns unter Leistungszwang!« Sandy holte einen Stapel Teller aus der Anrichte, zählte sie gewissenhaft und reihte sie vor der großen Platte auf, die nur noch auf den Truthahn wartete.
    Das ist mein Zuhause! dachte Meg froh und musterte ihre Eltern und Geschwister mit Dankbarkeit und Zuneigung. Sie hatten geduldig alle ihre Launen ertragen, die zum Erwachsenwerden gehören. Nicht, daß sie sich schon wirklich erwachsen fühlte: Es kam ihr noch immer wie gestern vor, daß sie Zahnklammern getragen hatte; dazu eine häßliche, verschmierte Brille, die ihr dauernd über die Nase rutschte; dazu widerborstiges mausbraunes Haar – und stets war da die nagende Gewißheit gewesen, nie so schön und selbstbewußt wie ihre Mutter werden zu können. Nach wie vor sah sie sich selbst eher als die heranwachsende Meg und gar nicht als die attraktive junge Frau, die aus ihr geworden war. Die Zahnklammern waren fort; statt der Brille trug sie jetzt Kontaktlinsen; und obwohl sich ihr kastanienbraunes Haar nie mit Mutters rötlichem Brünett messen konnte, war es fest und voll und stand ihr gut – vor allem, wenn sie es, wie jetzt, aus dem Gesicht frisierte und im Nacken zu einem Knoten band. Vor dem Spiegel mußte Meg in aller Objektivität zugeben, daß sie hübsch geworden war; sie hatte sich nur eben noch nicht daran gewöhnt. Kaum zu glauben, daß selbst ihre Mutter einmal diese Verwandlung durchgemacht hatte.
    Ob sich auch Charles Wallace eines Tages in diesem Maße körperlich verändern würde? Nach außen hin entwickelte er sich nur sehr langsam. Die Eltern setzten bis jetzt vergeblich auf einen plötzlichen Wachstumsschub,
    Meg vermißte Charles Wallace mehr als die Zwillinge und ihre Eltern. Sie beide, die Älteste und der Jüngste, waren stets eng verbunden gewesen; und Charles Wallace ahnte und erkannte Megs Nöte auf eine Weise, die sich logisch nicht erklären ließ. Wann immer ihre Welt aus dem Gleichgewicht geriet, spürte er das und stand ihr hilfreich bei, und sei es nur durch Zuneigung und Vertrauen. Daß sie diesen Festtag mit ihm verbrachte, gab ihr tiefe Geborgenheit; nun fühlte sie sich richtig daheim – obwohl sie ihr Elternhaus ohnedies nach wie vor als ihr eigentliches Zuhause empfand. Calvin und sie kamen oft übers Wochenende, denn ihre Mietwohnung lag zwar günstig in der Nähe des Krankenhauses, in dem Calvin arbeitete, war aber klein und schrecklich möbliert. Haustiere verboten! hieß es auf einem großen Schild, und Kinder waren wahrscheinlich ebenfalls unwillkommen. So blieb nur die Hoffnung, bald eine bessere Bleibe zu finden… Aber jetzt war Meg daheim, bei ihrer Familie, umgeben von ihren Lieben, die ihr halfen, die Einsamkeit zu verschmerzen; immerhin war sie zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit von Calvin getrennt.
    »Fortinbras fehlt mir«, sagte sie plötzlich.
    Die Mutter wandte sich vom Herd um. »Ja, ohne Hund wirkt das Haus irgendwie leer. Aber Fort hat ein ehrwürdiges Alter erreicht, als er starb.«
    »Wollt ihr euch keinen neuen Hund anschaffen?«
    »Doch. Es hat sich nur noch keiner gefunden.«
    »Und wenn ihr euch selbst auf die Suche macht?«
    Herr Murry blickte vom Tesserungs-Modell auf. »Bisher sind uns die Hunde immer zugelaufen. Nur, wenn nicht bald einer kommt, müssen wir etwas unternehmen.«
    »Meg, würdest du den Überguß für den Pudding machen?« bat Mutter.
    »Aber gern!« Sie holte ein halbes Pfund Butter aus dem Kühlschrank.
    Das Telefon läutete.
    »Ich hebe schon ab«, sagte Meg und ließ im Vorbeigehen die Butter in eine Schüssel fallen. »Vater! Für dich!
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