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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind
Autoren: Annika Reich
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zu sein?«
    »Schuld?«
    »Die falsche Entscheidung getroffen zu haben, Schuld, den anderen verletzen zu müssen, Schuld, alles zu zerstören, Felix ...«, sagte Vera leise.
     
    Sie war auch dann schuld, wenn Eduard nicht mehr in ihrem Leben wäre, dachte sie, nahm Veras Hand und drückte sie.

 
    Die Tafel mit den weißen Ankündigungen war verschwunden, das Schaufenster leer, im Laden herrschte Chaos. Überall standen Kisten herum, in die Friederike die weißen Sachen einpackte.
    Eine junge Frau kam herein und schaute sich fragend um: »Die weiße Handtasche? Ich habe sie nicht aus meinem Kopf bekommen. Sie ..., ist sie verkauft?«
    »Nein«, Friederike überlegte, »aber ich habe sie jemandem versprochen.«
    »Schade«, sagte die junge Frau, »sie hat mich wirklich nicht mehr losgelassen.«
    Sie hoffte, dass die junge Frau bald wieder ging, damit sie nicht schwach wurde und ihr doch noch die Frage stellte. Und in dem Moment wurde ihr bewusst, dass sie immer gedacht hatte, es sei erwachsen, loslassen zu können, aber vielleicht war es das gar nicht, vielleicht war es genauso unreif, Dinge, die man wirklich behalten wollte, wegzugeben und an Dingen, die man wirklich haben wollte, nicht mit aller Kraft festzuhalten.
    Sie sah Salmans Tante vor sich, wie sie nickte und murmelte: »Richtig, mein Kind, richtig, Buddhismus ist was für Tibeter. Wir Inder können anders.« Hatte sie ›wir‹ gesagt? Wie wunderbar: Sie hatte ›wir‹ gesagt. Wir Inder.
    »Schade, sehr schade«, sagte die junge Frau und schaute sich um: »Was ist denn das nächste Thema?«
    Friederike strahlte sie an: »Märchen! Scherenschnitte von Rotkäppchen, Seidentücher mit Fröschen drauf und Lippenstift in Rosenrot. Kommen Sie, es wird wunderbar.«
    Friederike schrieb das Wort Intermezzo auf die Tafel und hängte sie wieder draußen über die Tür. So machte es auch das Guggenheim Unter den Linden.
    Sie wickelte noch ein paar der verbliebenen weißen Dinge in Seidenpapier, setzte sich dann an ihren Schreibtisch und begann in ihren Aufzeichnungen zu blättern. Neun Monate hatte sie nun Zeit, um ihre Doktorarbeit zu Ende zu schreiben, und zwei Tage, um den Laden in ein Märchenland umzubauen, länger wollte sie nicht auf ihre Einnahmen verzichten, und ab jetzt würde sie sowieso anders kalkulieren müssen. Neun Monate, zwei Tage und eine Zeitspanne, die eine Rückwärtsschlaufe flog, um Tom zu sagen, dass er eine Tochter bekam. Ob er sein Fahrrad immer noch über alle Berge schob, ob er ihren Ruf schon vernommen, angehalten hatte, umgekehrt war?
    Sie war wirklich schwanger.
     
    »Intermezzo?« fragte eine Stimme hinter ihr. »War das nur ein Intermezzo mit dem weißen Bikini?«
    Tom.
    Sie drehte sich um und hielt die Papiere, in denen sie gerade gelesen hatte, wie einen Fächer vor ihren Bauch.
    »Ich kann ihn auch nicht leiden«, sagte er.
    »Wen, wen kannst du nicht leiden?«
    »Den Kollegen aus der Akademie der Künste«, sagte er, »aber dein Auftritt war trotzdem daneben.«
    Sie drückte den Papierfächer fester an ihren Bauch.
    »Wusstest du, dass das Papier auf denselben Wegen nach Europa gekommen ist wie die Zahl Null? Und genauso viel Misstrauen erregt hatte?« fragte sie, als hätte irgendeines dieser Worte irgendetwas mit dem zu tun, was sie sagen wollte.
    »Wenn ich mir deine Papierberge hier so ansehe ...«, sagte er.
    »Und dass 400 Liter Blut durch den Euter strömen müssen, um einen Liter reine weiße Milch zu erzeugen?«
    Was redete sie da? Er war doch jetzt da. Er stand doch vor ihr. Sie bekam ein Kind von ihm.
    »Und dass die Reinheit von Milch eine Illusion ist, weil der Euter ganz nah am After ist.«
    Um Gottes willen! Sie redete sich um Kopf und Kragen. Sie sollte ihm lieber das sagen, was sie sagen sollte, und mit dem ganzen weißen Kram aufhören, mit Wörtern wie Euter und After.
    »Warum packst du die weißen Sachen weg?« fragte er, anscheinend hart im Nehmen.
     
    Jetzt, jetzt wäre ein Moment.
     
    »Weil jetzt was Neues kommt.«
    »Und was kommt jetzt Neues?« fragte er.
    Was? Was meinte er? Wovon sprach er?
    »Welches Thema?« fragte er.
    Kinder, dachte sie, Kinder. Aber der Satz, den sie eigentlich sagen wollte, kam ihr einfach nicht über die Lippen. Und wenn sie so weiterplauderte, dann war der Moment vorüber. Und dann?
    »Wie wär’s mal mit einem Kinderthema, hier macht doch ein Kinderladen nach dem anderen auf?« schlug er vor.
     
    Jetzt.
     
    Er fischte die Tasche von Rushdies Tante aus einer
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