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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind
Autoren: Annika Reich
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eigentlich?« fragte Yoko, als sie auf Siri zukam. »Mit dem heiligen Geist? Oder betest du deine Zigaretten an?«
    »Heiliger Geist? Schön wär’s«, antwortete Siri und zog an ihrer Zigarette.
    »Was ist mit dir?« fragte Yoko, und ihr Mund bewegte sich dabei kaum. »Du rauchst schon den ganzen Abend, als gäbe es kein Morgen mehr.«
    Siri schaute auf den Filter ihrer Zigarette, den ein tiefschwarzer Fleck zierte. Sie hatte es auch mit Trinken versucht, aber der Alkohol hatte das Unwohlsein in ihrem Inneren eherzementiert als verflüchtigt: »Meine Großmutter hat meinen Großvater verlassen.«
    Yoko stockte kurz, dann sagte sie mit ihrer tiefen Stimme: »Das ist ja wunderbar«, und lächelte dem Mann am anderen Ende des Raumes, der sie schon die ganze Zeit unverhohlen beobachtete, dabei kaum merklich zu, »sie lebt noch.«
    Siri folgte ihrem Blick quer durch den Raum. Wunderbar? Sie nahm Yoko das Glas Wodka aus der Hand. Ein letzter Versuch. Die Flüssigkeit kam kalt an dem Ort an, an dem mal ihr Magen gewesen war, und vermischte sich mit dem inhalierten Rauch: »Sie waren glücklich miteinander. Wenn ich an irgendwas nie gezweifelt habe, dann ...«
    »Glück«, Yoko wippte mit ihren hohen Absätzen auf und ab. »Mein Vater hat immer gesagt: Glück ist wie das Gift des Kugelfischs – eine kleine Dosis davon berauscht das Leben und heizt den Hunger an, aber ein Hauch zu viel und ...«
    Siri schaute Yoko an. Was hatte sie da gerade gesagt? Sie blickte an ihr hinab, als könnte sie so noch einmal rekonstruieren, was sie gerade gesagt hatte. Yoko hatte wie immer etwas Schwarzes und etwas Weißes an, sie schien überhaupt nur schwarze und weiße Kleider zu besitzen. Der Rock war asymmetrisch geschnitten und die Bluse an den Seiten gerafft. Eine schwarze Strähne hing ihr in die blasse Stirn, und ihre Lippen glänzten dunkelrot, als wären sie versiegelt. Sie erinnerte sie an die dunkelhaarige Frau in dem Film Being John Malkovich, obwohl die Schauspielerin keine Japanerin war. Hatte sie gerade etwas von einem Kugelfisch gesagt? Yokos Satz blieb im Raum hängen wie eine in sich abgeschlossene, glänzende Kapsel.
    »Ein Kugelfisch?« fragte Siri und drückte ihre halbgerauchte Zigarette aus, »diese Nachricht bringt mein ganzes Leben durcheinander.«
    Yoko schaute sie kurz von der Seite an, dann lenkte sie ihren Blick wieder zurück zu ihrem Beobachter, der ihr jede Silbe von den Lippen abzulesen schien: »Dein Leben ist sowieso ...«
    »Mein Leben?« fragte Siri und fasste sich an die Ohren. »Wovon redest du?«
    Yoko setzte erneut an: »Davon, dass es auch dann durcheinander ist, wenn du deine Zigaretten nur zur Hälfte rauchst, und auch dann, wenn Eduard denkt, dass es das Gegenteil beweist.«
    Siri schaute zu Eduard hinüber, der mit einem Fremden auf einem Fensterbrett saß und sich unterhielt: » Ich denke das.«
    Seit sie Eduards Heiratsantrag angenommen hatte, hatte sie keine einzige Zigarette mehr zu Ende geraucht. Außerdem hatte sie aufgehört, während des Rauchens zu reden und die qualmenden Zigaretten überall herumliegen zu lassen, und hatte so tatsächlich ein gewisses Gefühl von Kontrolle bekommen.
    »Ich denke das«, wiederholte Siri, diesmal etwas leiser.
    »Und ich denke«, sagte Yoko, »dass dein Leben nicht durcheinander ist, weil deine Großmutter eine lebenshungrige Frau ist, sondern ...«, dann setzte sie beide Füße geräuschvoll auf, »du bist es auch – trotz allem.«
    Siri schluckte und schaute Yoko von der Seite an. Dann sagte sie: »Zwei Angriffe in einem Satz, eine Bedrohung und eine Beleidigung.«
    Yoko öffnete die linke Manschette ihrer Bluse. Der Mann am anderen Ende des Raums zuckte mit den Augenbrauen und griff sich an seinen Krawattenknoten. Ihre schwarzglänzende Strähne deutete nun wie ein Pfeil auf ihren Mund und verlieh ihren Worten noch mehr Schärfe: »Eduards Schnittmenge mit dir ist klein. Sie hat die Schwerkraft, um dich bei ihm zu halten,aber ein Großteil von dir schwebt angebissen und allein durchs Weltall. Ein einsamer, verglühender Stern.«
    Siri summte vor sich hin.
    »Das müsste nicht so sein«, sagte Yoko leiser, wie zu sich selbst, »das müsste wirklich nicht so sein.«
    Yoko zog die Spitzen ihrer Schuhe nach oben und öffnete die andere Manschette. Der Mann löste den Knoten seiner Krawatte.
    »Du brauchst nur eine Affäre, um wieder ins Leben zu kommen. Die Dinge klären sich dann. Du hast Eduards Schwerkraft, du hast deinen Sohn, und dann hast du auch
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