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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind
Autoren: Annika Reich
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solchen Momenten befielen, waren unter Friederikes Würde und passten nicht zu ihr. Sie hielt inne: Ob es überhaupt so etwas geben konnte – dass etwas nicht zu einem passte, obwohl es ein ständiger Begleiter war? So etwas wie Eduard vielleicht, dachte sie dann und musste lachen über diesen Gedanken, weil er so gemein und so treffend war. Zu Friederike passte es jedenfalls nicht, dass sie der Enttäuschung immer wieder die Hoheit über ihr Erleben zuschrieb, dafür war ihr Leben zu reich.
     
    Alison und Victor standen immer noch aneinandergelehnt oder vielleicht besser: ineinandergelehnt da, und Alisons Gesichtszüge waren so entspannt, als schliefe sie. Victors Hand war inzwischen auf ihrem verrutschten Kragen angekommen, sein Blick wanderte von einem Ende des Raumes zum anderen, er winkte einem befreundeten Paar zu und schien die Situation zu genießen. Je entspannter Alison an seiner Seite war, desto größer wurde der Radius, den er überstrahlte. Er war ein König, dachte Siri, der mit einem Handzeichen über alles Mögliche entscheiden konnte, wenn er wollte, und der sich seiner Macht so bewusst war, dass er niemals davon Gebrauch machen würde. Sie konnte ihn nie lange ansehen, sein Blick machte sie verlegen; er machte sie verlegen, weil er so viel von seinem Gegenüber erwartete und sie diesen Erwartungen nicht standhalten konnte.
     
    Zwischen Yoko und ihrem Flirt war die Stimmung inzwischen bis zum Zerreißen gespannt.
     
    Ganz hinten am Fenster saß Eduard mit einem Fremden auf einem Fensterbrett. Er balancierte einen Aschenbecher auf dem Rücken seines Schuhs und beugte sich zu dem Mann hinunter, um ihn besser zu hören. Er konnte in betrunkenem Zustand einen Aschenbecher auf dem Fuß balancieren, ohne dabei in seinem Gespräch gestört zu werden. Und er konnte, nicht nur wenn er betrunken war, jedem Menschen etwas abgewinnen – auch diesem Unbekannten, der alles andere als spannend aussah. Auf dem Heimweg würde er ihr etwas über dessen Leben erzählen, das außergewöhnlich und anrührend war.
    Eduard schmunzelte. Sie mochte ihn doch, warum konnte sie das nicht einfach so stehen lassen? Warum brauchte es immer nur eine Kleinigkeit, um dieses Gefühl in Verachtung umzukippen? Warum musste sie ihn jetzt schon wieder blass finden, nur weil sie den Mann an seiner Seite blass fand? Eduard hielt inne und schaute zu ihr hinüber – zuerst mit unverhohlenem Wohlgefallen auf ihre Beine, ihr silbernes Kleid, dann mit einem langen, zögerlichen Blick in ihre Augen. Sie schaute auf den Boden. Dann sagte sie in den Raum hinein: »Es ist anders, als du denkst.«
     
    Als die Gruppe von Gästen von den Sofas aufbrach, ging Yoko auf den Mann am anderen Ende des Raumes zu. Der Mann hatte sich inzwischen einen Barhocker geholt und saß nun an der Stelle, an der er vorher gestanden hatte. Er hielt ihrem Blick stand, während Yoko eine lange Diagonale durch den Raum schnitt. Sie lehnte sich neben ihn an die Wand und schaute in dem gleichen Winkel in den Raum, in dem er sie beobachtet hatte. Sie wippte auf ihren Absätzen und schwieg. Nach ein, zwei Minuten fragte sie: »Wie ist sie?«
    Er schaute in den leeren Raum und sagte: »Scharf.«
    »Und?« Sie schaute auf die Uhr.
    »Geschliffen.«
    »Und?«
    »Sie wird mir das Ausmaß zeigen.«
    Yoko schwieg wieder eine Weile, dann sagte sie: »Gehen wir.«

1    Sonntags allein

 
    Der Morgen nach dem Fest. Friederike saß an dem runden Tisch in ihrer Küche, die wie ein kleines Gewächshaus aussah. Auf ihrem Fensterbrett wucherten die Pflanzen, neben der Spüle standen büschelweise Kräuter, in einer Vase auf dem Boden steckte ein großer Blumenstrauß, der langsam zu welken begann. Friederike stand auf, zupfte ein paar braune Blätter von den Zweigen, goss Wasser in die Tontöpfe auf dem Fensterbrett, zog ein paar schlaffe Stengel aus der Vase und warf sie weg. Sie trug ein altes grünes T-Shirt von Tom, das er bei ihr vergessen hatte – zu einer Zeit, als er sich noch nicht Mühe gab, alle seine Sachen mitzunehmen, wenn er morgens aufbrach.
    Es war nicht einmal neun, und es war sonntags. Wieso sie schon wieder so früh aufwachte, wusste sie nicht: sie hatte auf dem Fest lange getanzt und einiges getrunken – sie hatte also allen Grund, länger zu schlafen.
    Sonntagmorgens alleine aufzuwachen war etwas ganz anderes, als samstagmorgens alleine aufzuwachen. Sonntagmorgens war sie mit dem ersten Augenaufschlag wach – und alleine. Nur die Geräusche der
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