Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Durch den Wind

Titel: Durch den Wind
Autoren: Annika Reich
Vom Netzwerk:
die Nilpferde soviele Zahnlücken hatten. Sie streichelte ihr über den Kopf, der sich wie ihr eigener anfühlte, nur weicher und wärmer. Dann zog sie ihre Hand zurück und blickte auf. Aber die blonde, großgewachsene Frau mit den langen glatten Haaren kam nicht um die Ecke, und das kleine Mädchen bekam keinen Schreck, sondern schaute ihr in die Augen. Friederike nahm das Mädchen auf den Arm und ging mit ihr in den Raum mit den Planeten. Und auf einmal waren die Planeten nicht mehr allein, sondern kreisten umeinander; auch wenn sie niemals Seite an Seite am Himmel stehen würden, kreisten sie doch umeinander – in einem endlosen Raum.

 
    Yoko trat in einem kirschroten, hochgeschlossenen Kleid ins Büro. Es war schon abends. Klaus arbeitete noch. Er hielt inne und schaute sie an.
    »Sie ist als Tollkirsche zurückgekommen«, sagte er dann.
    Sie lachte, ging auf ihn zu.
    »Dürfte ich erfahren, wo du gewesen bist«, sagte er, »bist einfach weg. Kein Urlaubsantrag, keine fingierte Grippe, nichts. Das kostet dich was.«
    »Deswegen bin ich hier«, sagte sie.
    »Wo warst du?« fragte er noch einmal.
    »Ich war in Japan. In dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Ich habe meinen Bruder gesehen und meine Mutter.« Sie stockte, ihr Blick verlor sich, dann fuhr sie in einem anderen Ton fort: »Meine Mutter fand es übrigens schrecklich, dass wir ein Krankenhaus bauen, ich glaube, sie fand es banal. Dich habe ich als meinen Mann verkauft, damit ich wenigstens eine verheiratete Katastrophe für sie war.«
    Wieso sie das sagte, wusste sie nicht, aber es war egal, es passte gerade so gut.
    »Und hab ich ihr gefallen?« fragte er.
    »Ich glaube, sie würde vor Ehrfurcht erstarren, wenn sie deinen Bartwuchs sehen könnte. Warum hast du dich eigentlich nicht rasiert?«
    »Hab ich«, sagte er.
    Er schaute an ihrem Kleid hinab.
    »Rot steht dir, warum hast du vorher noch nie Rot getragen?«
    »Weil ich Farben nicht mochte.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt versuche ich, mich mit ihnen anzufreunden.«
    »Rot ist territorial wie keine andere Farbe, Rot steckt im Spektrum sein Revier ab«, sagte er.
    »Das einzige Spektrum, das ich gerade im Visier habe, ist deins. Und das ist nicht gerade blassblau«, antwortete sie.
    »Magst du kein Weiß mehr?« fragte er.
    »Es schickt mich ins Exil.«
    »Du bist eben doch eine Japanerin«, sagte er.
    »Was soll das denn heißen?« fragte sie.
    »Das weißt du doch am besten, oder hast du schon vergessen, dass es nicht die Braut ist in Japan, die Weiß trägt. Weiß ist die Farbe des ...«
     
    Weiß ist die Farbe des Todes.
     
    Sie hatte, seit sie in Berlin lebte, nicht ein einziges Mal daran gedacht, dass die weißen Frauen in Japan den Tod bringen, dass Weiß die Farbe der Krankheit ist, der Beerdigungen, dass man Weiß nur auf Beerdigungen trägt.
    »Hiding in the light«, sagte er.
    Sie strich sich durch die Haare und setzte sich halb auf den Zeichentisch. Sie hatte ihre ganze Wohnung weiß eingerichtet, sie hatte fast jeden Tag etwas Weißes an, sie aß am liebsten weißes Essen.
    Stille.
    Dann bat sie um ein Glas Wasser, trank es, erschauerte.
    Sie schaute ihn an.
    Dann setzte sie sich ganz auf den Tisch: »Wie oft hattest du eigentlich schon Sex auf einem Zeichentisch?« Schnell! Zurück in das Land, in dem sie sich auskannte.
    Er musterte sie, schien ihre Stimmung auszuloten, dann lächelte er und antwortete: »Zweimal, und jedes Mal ...«
    »Also das fällt dann aus.«
    Er schaute ihr in die Augen. Sie hielt seinen Blick: »Hast du schon mal eine japanische Frau in einem roten Kleid gefesselt?«
    Er schüttelte den Kopf und schaute sie weiter an.
    »Würdest du das tun?«
    Er kam auf sie zu.
    Sie schaute ihn an. Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht.
    »Wenn du das willst, würde ich das tun«, sagte er. Dann trat er hinter sie, verschränkte mit der einen Hand ihre Arme auf dem Rücken und zog mit der anderen seine Krawatte aus.
     
    Mitten in der Nacht standen sie nebeneinander in der Stehküche des Büros, sie in seinem Hemd, er in seiner Hose.
    »Und machst du jetzt endlich was aus deinem Talent, wo du schon den Trauerflor ausgezogen hast?«
    Sie schaute ihn grinsend an: »Aus welchem?«
    Er lachte, küsste ihren Hals und fuhr fort: »Ich würde dir die Hälfte des Büros verkaufen. Ich wäre zwar furchtbar eifersüchtig auf all die kleinen Praktikanten, die du einstellen und wieder rauswerfen würdest, aber ich würde dir nicht reinreden.«
    »Will ich das?« fragte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher