Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis
Autoren: James Sallis
Vom Netzwerk:
unterbrach. »Mein Anwalt hat mir geraten, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Nach reiflicher Überlegung und bei Zusage von Straffreiheit bin ich dazu bereit.«
    Präpositionalphrasen und »reifliche Überlegung«, das klang so gar nicht nach Geldins Muttersprache, und im Folgenden wurde es nicht besser. Zuerst nahm ich an, dass er entsprechend instruiert worden war, entweder von Marty oder von seinem Kontaktmann während des Telefonats, in dessen Verlauf er so wenig gesagt hatte. Später gelangte ich zu der Überzeugung, dass irgendetwas mit ihm geschehen war. Er hatte sich verändert. Irgendetwas, von dem er selbst nicht mal vermutet hätte, dass es da war, etwas tief in seinem Inneren hatte angefangen, sich an die Oberfläche zu bewegen. Ich hatte so etwas schon früher beobachtet, sowohl im Dschungel als auch im Gefängnis. Ein gereizter, nervöser Mann wird plötzlich ganz ruhig. Einer, der sonst ständig quasselt, sitzt mit einem Mal schweigend da und lächelt.
    Folglich fiel mir die Aufgabe zu, Richter Ray Pitoski aus dem Tiefschlaf zu wecken (obwohl es inzwischen fast Mittag war), mich zu vergewissern, dass er nüchtern genug war, um sich später an Einzelheiten zu
erinnern, und ihm, als unserem Bezirksstaatsanwalt und Mädchen für alles, das Einverständnis zu entlocken, Geldin Straffreiheit zu gewähren, wenn er im Gegenzug seine Aussage bekam.
    Wir bekamen sie, wenn auch häppchenweise. Alle paar Sätze hielt Geldin inne und sah von Marty zu mir. Sei es, weil er den Wert und die Wirkung seiner Aussage abschätzen wollte, oder weil er so lange brauchte, den nächsten Satz in Gedanken vorzuformulieren – ich weiß es nicht.
    Aber was auch immer wir von ihm dachten, es stellte sich heraus, dass er genau das nicht war. Tatsächlich hatte er so etwas noch nie zuvor gemacht. Klar, er hatte vor einer Weile seinen Job verloren, vor zwölf Jahren, genauer gesagt – aber das hatten heutzutage viele. Und als seine Frau ihn verließ, nun, da hatte er das im Unterschied zu anderen kommen sehen.
    Hollis und er kannten sich schon sehr lange, schon seit der Grundschule. Damals war er so etwas wie der Klassenstreber gewesen, gute Noten, dürr und mager, Einzelgänger, die Nase permanent in Büchern. Hollis war das ziemliche Gegenteil, aber eines Tages hatte er eingegriffen, als der offizielle Schulchaot, ein Typ, der aussah wie ein Mops, auf Geldin eindrosch. Und nicht, weil Hollis auf irgendeine Weise Mitleid
mit ihm hatte oder aus einem Unrechtsempfinden heraus, sondern schlicht und einfach, weil Hollis den Oberchaoten ins Visier genommen hatte, da er zu der Ansicht gelangt war, dass er eine Abreibung vertragen könnte. Und hier bot sich ihm die große Chance. Wenn Lehrer kamen, sah es aus, als wäre Hollis ein Held, der für einen Schwächeren in den Ring stieg. Und wenn er vielleicht auch nicht so weit gedacht hat, dann war es eben Instinkt.
    Für Troy änderte sich von da ab jedenfalls alles. Ein Jahr später war er Linebacker in der Mannschaft. Passte immer noch nicht wirklich dazu, aber er war immerhin gut genug, dass man ihm Platz machte. Unterdessen war Hollis nach wie vor damit beschäftigt, sich in Schwierigkeiten zu manövrieren, latschte in jedes Fettnäpfchen, das er nur irgendwie auftreiben konnte. Troy wurde größer und kräftiger, Hollis schrumpfte. Fing an zu rauchen, fing an zu saufen. Danach sahen sie sich eine längere Zeit kaum noch, doch von Geldin hörte er das eine oder andere: Hollis klaute Autos, war auf der Flucht, saß im Knast.
    Kurz nachdem er seinen Job verlor, begegneten sie sich wieder, in einer Eckkneipe an der Atlantic, die ihm gefiel, weil es dort weder Musik noch Fernsehen gab, dafür aber am späten Vormittag, frühen Nachmittag eine Menge Frauen, die auf einen Drink
hereinschauten, meistens in Grüppchen. Zuerst erkannten sie sich nicht. Der Typ auf dem Barhocker neben ihm blickte ebenfalls auf, als drei junge Frauen in Sportklamotten hereinkamen, und meinte: »Ich dachte, das hier ist ’ne Lesbenkneipe.« Dann sahen sie sich etwas genauer an und erkannten sich.
    Es wurde nicht großartig darüber geredet, was inzwischen so passiert war, überhaupt wurde in diesen ein, zwei Stunden nicht viel geredet, aber es war gut, einen Freund zu haben, jemanden, mit dem man zusammensitzen, ein paar Bier trinken konnte, jemand, der ebenfalls Zeit hatte. Und ja, er hatte sich schon gefragt, womit Hollis sich über Wasser hielt, weswegen er so viel freie Zeit hatte, aber, hey, so was fragt man
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher