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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis
Autoren: James Sallis
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rief Don Lee an, um ihm zu berichten, was los war, und dass ich die Nachtwache übernähme, sofern er morgen früh sofort reinkäme. Ich saß die ganze Nacht da, in dieser Totenstille, trank einen Becher Kaffee nach dem anderen, starrte auf das schwarze Fenster und dachte über das Gefängnis nach, dass es dort nie still war, man jedoch inmitten Hunderter anderer Männer so einsam war wie nur was.
    Vorher jedoch verabschiedete ich mich ein weiteres Mal von Jed Baxter und setzte mich wieder zu Doc Oldham draußen auf die Bank. Der Diner machte Feierabend, Jay, Margie und »Cook« (der einzige Name, den er zuließ) liefen die letzten Male zu den Mülltonnen hinter dem Haus. Fahle Regenbogen umhüllten die wenigen Straßenlaternen, Wirbelstürme von Fluginsekten suchten sie unermüdlich heim.
    »Gibt Tage, da sitze ich hier«, meinte Doc, »und rechne fast damit, dass Steppenläufer durch die Straße kullern. Und Audie Murphy kommt auf seinem weißen Klepper angetrabt. Wissen Sie, wer Audie Murphy war?«
    Ich wusste es. Einige der ersten Filme, an die ich mich erinnern kann. Audie Murphys Grimassen, sein Genuschel, wie er als Sergeant York bei der Truthahnjagd Vogelstimmen nachahmt. All diese
berühmten Filme über den Krieg einer viel jüngeren, viel unschuldigeren Nation, unschuldig nicht im Sinne von ohne Schuld, sondern vielmehr im Sinne von unreif, unerfahren.
    »Die Leute wollen so gern glauben, dass die Dinge im Grunde ganz einfach sind, Turner. Dass Gut und Böse in einem ständigen Kampf miteinander liegen, und spätestens Dienstag kommender Woche wird der eine oder andere gewonnen haben. Haben Sie ja auch schon häufig gesagt.«
    »Viele Male.«
    »Und doch …« Er lachte und musste tief durchatmen. »Man selbst ist davon nicht ausgenommen.«
    »Nein.«
    Wir saßen still da, geplagt von Moskitos und gelegentlich einer verirrten Motte. Cook tauchte mit seinem Fahrrad aus der Seitengasse auf, stieg auf und radelte in die Dunkelheit davon. Jays Pick-up rollte heraus und bog in die entgegengesetzte Richtung ab. Die einstmals leuchtend roten und gelben Flammen auf dem Fahrrad waren fast nur noch Schatten. Die Flicken und Lackschichten des Pick-up ähnelten Fischschuppen; manche davon dick wie Artischockenblätter.
    Nach einer Weile sagte Doc: »Sie haben’s doch niemandem erzählt, Turner, oder?«

    »Nein.«
    »Vielleicht sollten Sie aber.«
    Ich schwieg. Wem sollte ich es denn erzählen? Und warum?
    »Tja«, sagte Doc, »Sie haben Recht. Geht keinen auch nur einen Furz was an.«
    Vor zwei Monaten, im Verlauf der Routineuntersuchung, mit der er mir schon seit Ewigkeiten auf die Nerven ging, fand Doc etwas, das ihm nicht gefiel. Wahrscheinlich ist es nichts weiter, sagte er, liegt nur an den jungen Leuten im Labor, diesen Grünschnäbeln mit ihren i Pods. Am besten wiederholen wir den Test einfach. Dann tauchte er eines Abends mit einer Flasche Single Malt in der Blockhütte auf. Wie üblich hatte ich seine alte Klapperkiste schon aus drei Meilen Entfernung auf der Straße kommen gehört.
    »Fürchte die Griechen, auch wenn sie Geschenke bringen …«, begann ich.
    »Die sind nichts verglichen mit einem alten Mann mit einer Flasche altem Whiskey. Der alte Mann ist müde. Der Whiskey nicht. Also lassen wir ihn arbeiten.«
    Danach redeten wir eine ganze Weile kaum ein Wort. Dann, etwa beim dritten Glas, sagte Doc es mir, geradeheraus und ohne Umschweife, so wie er
auch das Wetter erwähnt hätte oder einen Hund, den er mal hatte. Wir tranken weiter, und als er ging, setzte er an, noch etwas zu sagen, sah mir dann einfach in die Augen und schüttelte den Kopf.
    Ich erinnere mich genau, wie warm und still es in dieser Nacht war, und wie hell die Sterne funkelten.

Kapitel Sechzehn
    Vor ein paar Jahren war ich auf der Hochzeit von einem, mit dem ich zusammen beim Militär war, und er war so ziemlich der Einzige aus dieser Zeit, zu dem ich noch Kontakt hatte. Wir hatten gemeinsam eine Menge durchgemacht, und seine Einstellung zu der ganzen Sache kam meiner eigenen ziemlich nahe: wir hatten es hinter uns gebracht , und das verstanden wir so, dass wir jetzt woanders standen. Doch seine Zukünftige legte Wert darauf, dass er auch einen seiner »Kumpels von der Truppe« einladen sollte, und so wurde ich der Vorzeige-Kumpel.
    Und es war gar nicht so übel. Er machte eine gute Partie, ihn erwartete ein gut dotierter Job im Familienunternehmen. Das Haus, in dem sie leben würden, war bereits bezahlt und sah so sauber und
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