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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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und ritten an uns vorüber; sie hatte nicht einmal so viel Rücksicht für mich, ihr Tempo zu beschleunigen, obwohl sie es in Hinblick auf das Regenwetter leicht hätte erklärlich machen können. Sie wollte mir damit zeigen, daß ich ihr so gleichgültig war wie ein Hund am Wege.
    So zogen wir - jedes ein Pärchen - um den Jakko herum, sie mit ihrem Kavalier, ich mit meiner gespenstischen Geliebten. Die Straße war überflutet, die Pinien troffen wie Dachrinnen, daß das Wasser nur so auf die Felsen niederklatschte, und die Luft war erfüllt von feinem Sprühregen. Zwei- oder dreimal ertappte ich mich dabei, wie ich laut mit mir selbst sprach und mir vorsagte: »Ich bin Jack Pansay und auf Urlaub in Simla - jawohl: in Simla - dem mir gut bekannten Simla; ich darf das nicht vergessen - unter keinen Umständen vergessen!« Und dann zwang ich mich, mich irgendeines blöden Geschwätzes im Klub zu entsinnen, was dieses oder jenes Pferd gekostet hätte, oder an ein belangloses Ereignis in der anglo-indischen Welt, die mir bekannt war wie meine Tasche, zu denken. Dann wieder rechnete ich im Kopf das Einmaleins durch, um mich zu vergewissern, daß ich noch Herr meiner fünf Sinne war. Und das beruhigte mich, hatte wahrscheinlich zur Folge, daß ich Mrs. Wessingtons Stimme nicht ununterbrochen hörte.
    Noch einmal erklomm ich, müde, den Klosterhügel und erreichte die ebene Straße. Kitty und ihr Begleiter setzten sich soeben in Galopp, und so war ich allein mit Mrs. Wessington. - »Agnes«, sagte ich, »möchtest du nicht das Wagenverdeck zurückschlagen lassen und mir sagen, was das alles zu bedeuten hat?« Und sofort klappte die Plane geräuschlos zurück, und ich stand Auge in Auge mit meiner toten und begrabenen Geliebten. Sie trug dasselbe Kleid, wie damals, als ich sie zum letztenmal gesehen, dasselbe kleine Taschentuch in der rechten, dieselbe Visitenkartentasche in der linken Hand. (Man denke: eine Frau, vor acht Monaten gestorben, hat eine Visitenkartentasche bei sich!!) Ich mußte das Einmaleins wieder hersagen, meine beiden Arme auf die steinerne Brust-Wehr der Brücke stützen, um mir zu versichern, daß diese wenigstens wirklich war.
    »Agnes«, sagte ich, »um Gottes Barmherzigkeit willen, erklär mir, was hat das alles zu bedeuten?« Mrs. Wessington beugte sich vor - mit der eigentümlich schnellen Kopfbewegung, die mir von früher her so vertraut war - und begann zu sprechen.
    Wenn meine Geschichte nicht an und für sich schon alles Maß des Wahrscheinlichen überschritten hätte, ich würde jetzt versuchen, sie plausibel zu machen, aber da ich nur zu gut weiß, daß niemand mir glauben wird, auch Kitty nicht, vor der mich zu rechtfertigen mein Wunsch war, als ich sie niederschrieb, unterlasse ich es lieber und fahre fort: Mrs. Wessington sprach und sprach, und ich ging neben ihr her, wie neben der Rikscha einer lebenden Frau, in eine Unterhaltung vertieft, von der Sanjowlie-Straße angefangen, bis zur Biegung des Kommandeurhauses. Die zweite, wohl die quälendste Form meiner Krankheit hatte die Oberhand über mich gewonnen: gleich dem Prinzen in Tennysons Gedicht vermeinte ich, mich in einer Welt von Schemen zu bewegen. Ein Gartenfest hatte im Hause des Kommandeurs stattgefunden, und ich geriet in das Gedränge der in Scharen heimkehrenden Gäste; ich empfand ihre Nähe wie die von Schatten - ich hatte den Eindruck, als wichen sie zur Seite, um mir und der Rikscha Platz zu machen. Was Mrs. Wessington und ich miteinander sprachen im Laufe dieses unheimlichen Beisammenseins, ich kann nicht - ich wage es nicht zu sagen. Heatherlegh würde es als ein Mischmasch von Augen-Magen-Gehirn-Reizung erklärt haben. Es war eine grausige, aber doch für mich irgendwie wunderbar liebe und teure Erfahrung. War es denn wirklich möglich, daß ich, ein lebender Mensch, mich ein zweites Mal um eine Frau bewarb? Um eine Frau, die ich durch Lieblosigkeit und Grausamkeit selbst getötet hatte?!
    Auf dem Heimwege begegnete ich Kitty; sie war für mich ein Schatten unter Schatten geworden.
    Wollte ich alles der Reihe nach niederschreiben, was ich den nächsten Tag noch erlebte, meine Geschichte käme nie zu Ende. Morgen für Morgen, Abend für Abend wanderte ich neben der gespenstischen Rikscha durch Simla. Wo ich ging und stand, da waren auch die vier schwarz und weißen Livreen, begleiteten mich nach meinem Hotel, warteten auf mich, bis ich ausging. Vor dem Theater standen sie mitten unter den ändern lautschreienden
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