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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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Mrs. Wessington enthüllt, denn ich sah sie mit bleichem Gesicht und blitzenden Augen mir zuhören.
    »Ich danke Ihnen, Mr. Pansay«, sagte sie, als ich zu Ende war, »das genügt mir. Reitknecht, ghora lao.«
    Gleichmütig, wie Orientalen meistens sind, kamen die Reitknechte langsam mit den wieder eingefangenen Pferden angeritten; Kitty sprang in den Sattel, ich faßte ihre Zügel, beschwor sie, mich anzuhören, mir zu verzeihen. Ihre Antwort war ein Hieb mit der Reitpeitsche, der mir eine blaue Strieme über das Gesicht zog vom Mund bis zum Auge. Und ein Wort des Lebewohls, das ich noch jetzt mich scheue niederzuschreiben. Da schwand mir jeder Zweifel; Kitty wußte alles, auch das letzte. Ich taumelte zu der Rikscha hin; mein Gesicht blutete. Ich verachtete mich selbst. Da kam Heatherlegh, der Kitty und mir in einer Entfernung gefolgt sein mußte, angaloppiert.
    »Doktor«, sagte ich und wies auf mein Gesicht, »hier die Unterschrift Miss Mannerings; sie hat unsere Verlobung gelöst - aber Ihre fünftausend Pfund gedenke ich demnächst einzukassieren.«
    Das Gesicht, das Heatherlegh zu meinen Worten schnitt, reizte mich trotz meinem grenzenlosen Jammer zum Lachen.
    »Ich setze meinen Ruf als Arzt zum Pfand«, begann er.
    »Seien Sie kein Narr«, murmelte ich. »Ich habe mein Lebensglück verloren - Sie täten besser, mich heimzubringen.«
    Noch während ich sprach, verschwand die Rikscha. Ich fühlte, daß mich das Bewußtsein verließ: der Gipfel über dem Jakko schien sich zu heben, begann zu schweben wie eine Wolke und senkte sich im Fallen auf mich hernieder.
    Sieben Tage später - es war der 7. Mai - erwachte ich in Heatherleghs Zimmer, schwach wie ein kleines Kind. Heatherlegh, an seinem Schreibtisch hinter einem Stoß Papieren sitzend, beobachtete mich scharf. Die ersten Worte, die er an mich richtete, klangen nicht besonders ermutigend, aber ich war zu erschöpft, als daß sie einen tiefen Eindruck auf mich hätten machen können.
    »Miss Kitty hat Ihnen Ihre Briefe zurückgeschickt«, begann er. »Eine hübsche Menge habt ihr junges Volk da zusammengeschrieben! - Und hier ist ein Päckchen, das sieht so aus, als läge ein Ring drin. Auch eine gewisse Art Liebesbillett von Papa Mannering ist angekommen, das zu lesen und sofort zu verbrennen ich mir die Freiheit genommen habe. Der alte Herr scheint Ihnen nicht mehr sehr gewogen zu sein.«
    »Und Kitty?« fragte ich, halb betäubt.
    »Ist fast noch mehr aufgebracht als ihr Vater - nach dem zu schließen, was sie schreibt. Ich entnehme daraus, daß Ihnen eine Menge von seltsamen Erinnerungen entschlüpft sein muß, just, bevor ich Sie traf. Sie sagt, ihrer Ansicht nach solle sich ein Mann, der einer Frau gegenüber gehandelt hat, wie Sie gegenüber Mrs. Wessington, schon aus Rücksicht auf seine Blutsverwandten selber niederknallen. Sie ist halt eine kleine hitzköpfige Amazone, Ihr Schatz. Behauptet auch steif und fest, Sie hätten einen Anfall von Delirium tremens gehabt -damals, als Sie sich auf der Jakkostraße überschlugen. Beteuert: sie wolle lieber sterben, als jemals wieder ein Wort mit Ihnen sprechen.«
    Ich stöhnte auf und wälzte mich in meinem Bett auf die andere Seite.
    »Sie müssen jetzt Ihrerseits eine Entscheidung treffen«, fuhr Heatherlegh fort, »lieber Freund! Die Verlobung muß offiziell gelöst werden. Und die Mannerings wollen ja auch gern ein Auge zudrücken. Soll also Delirium tremens oder Epilepsie der Vorwand sein? Es tut mir leid, aber ich kann Sie vor keine mildere Wahl stellen. Höchstens vielleicht: erbliche Belastung. Sprechen Sie das Wort aus, und ich werde den Leuten die Mitteilung in gewählter Form zukommen lassen. Ganz Simla weiß doch von der Szene auf der ›Meile unsrer lieben Frau‹. Raffen Sie sich auf! Ich lasse Ihnen fünf Minuten Überlegung.«
    Ich glaube, ich habe in jenen fünf Minuten die fürchterlichsten Tiefen der Hölle durchwandert, die ein Mensch, solang er auf Erden weilt, betreten kann. Zugleich sah ich mich selbst in den dunklen Labyrinthen des Zweifels, des Jammers und der äußersten Hoffnungslosigkeit umhertaumeln. Ich hatte bis zum letzten Augenblick - so wenig wie Heatherlegh - eine Ahnung, welche der drei schrecklichen Alternativen ich ergreifen würde. Dann hörte ich plötzlich eine Stimme, die meine eigene gewesen sein muß, antworten: »Sie sind schauderhaft einseitig, was die Moralität hier anbelangt, Heatherlegh! Schreiben Sie den Mannerings, ich wähle Epilepsie, wenn's ihnen in den
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