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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien
Autoren: Rudygard Kipling
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Mrs. Keith-Wessington gemordet. Ich gehe jetzt meinem letzten Strafgericht entgegen. Es schwebt über mir.

Der Ausgelöschte
    »Das Grab spie seinen Toten aus,
    Im Lager er erschien
    Und sprach sein Wort, ging wieder fort,
    Ließ unsre Herzen glühn.
    Seid Männer! Nehmt's Gewehr zur Hand!
    Die Rache ruft zur Tat!
    Bald findest du, so Gott will, Ruh,
    Mein toter Kamerad!«
    Ballade
    Man muß sich darüber im klaren sein, daß der Russe ein ganz entzückender Mensch ist, solange man sein Hemd nicht sieht. Als Orientale genommen, ist er einfach hinreißend; - wenn er aber verlangt, als östlichster der Westlichen behandelt und angesehen zu werden, statt als Westlichster der östlichen, dann hat man eine Kategorie Mensch vor sich, von dem man beim besten Willen nicht weiß, wie man mit ihm umspringen soll. Hat man ihn zu Gast, so weiß man nie, welche Seite seiner Natur er im nächsten Augenblick herauskehren wird ...
    Dirkowitsch war ein Russe - der russischste aller Russen, und es hatte den Anschein, als erwerbe er seinen Lebensunterhalt als Kosakenoffizier im Dienste des Zaren - und nebenbei als Korrespondent einer russischen Zeitung unter einem Namen, der sich nie zweimal wiederholte. Er war ein hübscher junger Asiat und liebte es, unerforschte Teile der Erde zu durchreisen. Er kam nach Indien, kein Mensch wußte, woher. Ob er auf dem Weg über Balkh, Badakshan, Chitral, Beludschistan, Nepal oder sonst ein Paßgebiet gekommen war? Niemand hatte die leiseste Ahnung. Die indische Regierung, die gerade guter Laune gewesen sein mochte, hatte den Befehl gegeben, ihn höflich aufzunehmen und ihm alles zu zeigen, was er zu sehen wünschte; und so trieb er sich denn umher mit einem schlechten Englisch und einem noch schlechteren Französisch, bis er eines Tages in Peshawur landete, wo damals die Weißen Husaren Ihrer Majestät der Königin lagen - an der Mündung des engen Einschnitts in die Berge, der Khyber-Paß heißt. Zweifellos Offizier, war er nach russischer Art mit kleinen emaillierten Kreuzen dekoriert und konnte uferlos schwätzen, wie nicht so bald einer. (Dekoriert war er deshalb wohl kaum worden.) Beim Black-Tyrone-Regiment ging die Sage um, er sei nicht zu schlagen – im Saufen nämlich. Man hätte sich vergeblich bemüht, so hieß es, ihn mit heißem Whisky und Honig, mit glühendem Branntwein und Schnapsgemischen aller Art unter den Tisch zu kriegen, aber nichts hätte gefruchtet. Und wenn die Black Tyrones so etwas eingestehen, die doch alle Irländer sind, so stand außer Zweifel, daß dieser Fremde fraglos ein Übermensch auf diesem Gebiete war.
    Die Weißen Husaren sind bei der Wahl ihrer Weine ebenso gewissenhaft wie bei sonstigen Angriffen auf den Feind; sie stellten also ihre sämtlichen Getränke, einschließlich eines märchenhaften Branntweins, zu Dirkowitschs freier Verfügung, und er trank denn auch ganz unglaubliche Mengen davon - mehr noch als bei den Black Tyrones.
    Dennoch blieb er geradezu unerträglich europäisch, nannte die Weißen Husaren: »Ljiebe rummbedäckte Gampfesgenossen und Härzänsbridder«. Stundenlang konnte er seinem Herzen Luft machen mit Reden über die glorreiche Zukunft, der die verbündeten englischen und russischen Armeen entgegengingen, wenn sie erst einmal wie ihre Länder unauflöslich ein Herz und eine Seele sein würden, um die Zivilisation Asiens in Angriff zu nehmen. Das klang zwar nicht sehr wahrscheinlich, denn Asien wird sich schwerlich nach europäischem Muster zivilisieren lassen; es ist zu alt dazu! Eine Frau, die viele Liebhaber gehabt hat, kann man nicht bessern, und Asien war in früheren Zeiten unersättlich als galante Dame. In die Sonntagsschule wird sich Asien nicht schicken lassen, wird auch nicht lernen, Wahlzettel zur Hand zu nehmen statt Schwerter.
    Dirkowitsch wußte das natürlich ganz genau, aber es paßte ihm besser, den Spezialkorrespondenten herauszukehren als den Offizier einer fremden Macht, und sich so beliebt wie möglich zu machen. Gelegentlich ließ er auch ein paar nebensächliche Brocken über seine eigene Kosakensotnja fallen, die offenbar irgendwo im Hinterland ohne ihn herumgaloppierte. Er hatte in Zentralasien schwere Arbeit geleistet und war auf den Selbsterhaltungskampf besser dressiert als so mancher in seinem Alter, hütete sich jedoch wohlweislich, es merken zu lassen. Noch mehr ließ er es sich angelegen sein, die Disziplin, die Uniformen und die Organisation der Weißen Husaren Ihrer Majestät zu bewundern. Und die
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