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Dunkler Zwilling

Dunkler Zwilling

Titel: Dunkler Zwilling
Autoren: Doris Bezler
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will, von wem er will und so oft er will. »
    »Das hat dich bestimmt ganz schön wütend gemacht. Aber jetzt, wo wir das Band gehört haben, verstehst du ihn vielleicht ein bisschen. Er hat geglaubt, dass er früh sterben würde, weil er eine schreckliche Erbkrankheit hatte.«
    »So ganz habe ich das nicht verstanden, was die da geredet haben.«
    »Ich schon. Aber ich wusste auch, worum es geht. Auf jeden Fall wissen wir jetzt, warum Maurice sich umgebracht hat.«
    »Das hat er nicht.«
    »Was?«
    »Er hat sich nicht umgebracht. Er wurde gestoßen.«
    Ruckartig setzte Max sich auf. Er packte Justin an beiden Oberarmen und drehte ihn zu sich. »Was redest du da?«
    Max spürte, wie Justins Körper plötzlich zu zittern begann. Ob er weinte, war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Max tastete mit den Fingerspitzen über Justins Gesicht. Es war trocken. Dennoch kam so etwas wie ein Schluchzen aus seiner Kehle. Dann folgten Worte. Sie kamen zögerlich und tonlos aus Justin heraus, wie eingesperrte Vögel, denen man plötzlich das Flugloch öffnete.
    »Ich war drüben im Reitstall. Da kriegst du ein paar Cent. Fürs Ausmisten. Da höre ich Annalena. Sie labert mit ihren Tussen über Maurice und Sex. Sie hat abgelästert über mich und meine verlauste Hütte. Sie hat Mittelerde beleidigt! Da hab ich ihr später das Handy aus ihrem Putzkoffer geklaut. Maurice hab ich damit nachts zur S-Bahn bestellt. Wollte ja nur wissen, ob er immer kommt, wenn sie ihn haben will. Er ist hingegangen. Ich hab ihn getroffen. Mich hat er weggeschickt. Aber ich bin ihm bis zur Bahn nachgeschlichen. Er stand da so komisch an der Kante. Und hat nach dem Zug gesehen. Er stand wie einer, der gleich springen wird. Plötzlich wollte ich das. Ich wollte, dass etwas ganz Schlimmes passiert. Das ist bei mir manchmal so. Es ist wie Armritzen, verstehst du? Du willst was ganz Starkes spüren, was dich zerreißt, weil du es sonst nicht mehr aushältst. Dann dachte ich daran, dass er Mittelerde verraten hat und habe ihn gestoßen.«
    In einem ersten Implus wollte Max den Kleinen am liebsten schütteln und anschreien. Er hatte Mühe sich zu beherrschen. Doch dann spürte er, wie er zunehmend erstarrte. Die Glut im Herd knisterte. Sie war zu Asche zusammengesunken und es war fast vollständig finster geworden. So fühlte sich Max gerade: wie Asche in einer unendlichen Finsternis.
    Nach langer Zeit konnte er wieder sprechen. Seine Stimme klang rau und zittrig, als hätte er vergessen, wie man Worte formt. »Du hast mir gerade erzählt, dass du meinen Bruder umgebracht hast.«
    Justin sagte kein Wort. Er drängte sich an Max heran und griff nach seiner Hand. Max zog die Hand weg und spürte, wie die kleine Gestalt an seiner Seite zitternd in sich zusammensackte. Max legte seinen Arm um die knochigen Schultern und zog Justin an sich heran. Jetzt spürte er, dass es nass wurde an seiner Brust.
    »Ich habe dir das nur erzählt, weil du mein Freund bist. Und Freunde verrät man nicht!«, schluchzte Justin.
    Max hatte das Gefühl, Justins Körper läge wie ein Eisengewicht auf ihm. Er atmete mühsam dagegen an.

Freitag, der 8. Februar
    Heute ist nach allem Unglück ein absoluter Glückstag!
    Heute Mittag durfte ich das erste Mal Chiara besuchen. Inzwischen geht es ihr wieder einigermaßen. Sie redet ganz langsam. Das Wichtigste ist: Sie hat mich erkannt und sich gefreut, mich zu sehen. Sie liegt auf der neurologischen Station in der Uniklinik.
    Als ich dort zum Haupteingang reinkam, hatte ich einen irren Flash. Plötzlich sah ich, wie eine Frau mit so einer Babytragschale an mir vorbeigeht und hinter einer Klotür verschwindet. Mir wurde auf einmal ganz flau. Aber völlig dizzy war ich eh schon wegen Chiara. Eine Woche lang lag sie in einer Art künstlichem Koma. Dann durfte nur ihre Mutter zu ihr. Chiara hat einen Schädelbruch. Franca hat erzählt, dass sie vermutlich bei dem Streit mit Gero gegen die Kante von so einem Metalltisch gefallen ist. Die Polizei ermittelt gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung. Er sagt, alles wäre nur ein Unfall gewesen. Sie wäre von der Bibliotheksleiter gefallen, als sie sich ein Buch ganz oben aus dem Regal nehmen wollte. Mann, der lügt sich was zusammen!
    Das Diktiergerät habe ich bei der Polizei abgegeben. Ich bin zusammen mit Kurt Herold hingegangen und habe ihnen meine Version erzählt. Ich hatte ziemlich Schiss, dass sie mich gleich in Handschellen legen, doch Kurt hat mir Mut gemacht.
    Eine echte Überraschung gab
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