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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: V.C. Andrews
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beobachtete, als warte sie gespannt auf meine Reaktion.
    Im schwachen Schein der glimmenden Holzscheite blickte ich entgeistert auf eine Puppe. Eine Puppe? Das war das letzte, was ich erwartet hatte. Ich starrte die Puppe mit ihren aschblonden Haaren, die zu einer aufwendigen Frisur hochgesteckt waren, unentwegt an. Sie trug einen Brautschleier, der von einem juwelenbesetzten Häubchen festgehalten wurde. Ihr Gesicht war außergewöhnlich hübsch, mit wunderschön geschwungenen Lippen. Ihr langes Kleid war aus weißer Spitze, bestickt mit winzigen Perlen und glitzernden Steinen. Eine Puppenbraut – mit Schleier und allem. Sogar ihre weißen Schuhe waren aus Spitze und Satin, und als ich einen verstohlenen Blick unter ihren Rock warf, sah ich, daß ihre glänzenden Strümpfe von einem kleinen Strumpfbandgürtel festgehalten wurden.
    »Das ist sie. Deine Mutter, Leigh, die Luke Angel nannte«, flüsterte Großmutter. »So sah deine Mutter aus, als sie deinen Vater heiratete und hierher zu uns kam. Das letzte, was sie sagte, bevor sie starb, ›Gib meinem kleinen Mädchen, was ich mitgebracht habe…‹, das hab’ ich nun getan.«
    Ja, das hatte sie getan – und dadurch mein Leben von Grund auf verändert.
    1. KAPITEL
    DAMALS

    Wenn es wahr ist, daß Jesus vor fast zweitausend Jahren für uns am Kreuz gestorben ist, um uns vor allem Bösen zu bewahren, dann galt dies nicht für unsere Gegend, ausgenommen sonntags zwischen zehn Uhr früh und zehn Uhr abends. Zumindest meiner Meinung nach.
    Aber wer gab schon etwas auf meine Meinung? Ich dachte daran, wie Vater – zwei Monate nach dem Tod meiner Mutter im Kindbett – Sarah zur Frau genommen hatte und sie ihm den Sohn gebar, den er sich so sehnlich gewünscht hatte, seit ich auf die Welt gekommen war und dem kurzen Leben meiner Mutter ein jähes Ende bereitet hatte.
    Damals war ich noch zu jung, um mich an die Geburt dieses ersten Sohnes zu erinnern, der auf den Namen Thomas Luke Casteel jun. getauft wurde. Später erzählte man mir, daß wir zusammen in der gleichen Wiege gelegen, darin wie Zwillinge geschaukelt, gestillt und in die Arme genommen – jedoch nicht gleichermaßen geliebt worden waren. Letzteres mußte mir allerdings niemand erst erzählen.
    Ich liebte Tom mit den feuerroten Haaren und den leuchtend grünen Augen, die er von Sarah geerbt hatte. Nichts an ihm erinnerte an Vater. Er wurde allerdings später ebenso groß wie er.
    Nachdem mir Großmutter am Tage vor meinem zehnten Geburtstag von meiner richtigen Mutter erzählt hatte, faßte ich den Entschluß, meinem Bruder Tom niemals den Glauben zu nehmen, daß ich, Heaven Leigh Casteel, seine leibliche Schwester sei. Ich wollte die besondere Beziehung zwischen uns, die uns fast zu einer Person verschmelzen ließ, unter allen Umständen bewahren. Seine Gedanken waren beinahe immer die gleichen wie meine, wohl deshalb, weil wir in der gleichen Wiege gelegen hatten. Sehr bald nach seiner Geburt begann unser stilles Einverständnis. Das machte uns außergewöhnlich.
    Es war uns wichtig, außergewöhnlich zu sein, denn wir befürchteten, daß wir es eigentlich überhaupt nicht waren.
    Barfüßig war Sarah über einsachtzig groß. Eine wahre Amazone und die passende Gefährtin für einen Mann, der so groß und stark war wie mein Vater. Sarah war nie krank. Wie Großmutter (die Tom gelegentlich scherzhaft »Mutter der Weisheit« nannte) erzählte, waren Sarahs Brüste nach Toms Geburt so voll und üppig geworden, daß sie mit kaum vierzehn Jahren bereits wie ein Matrone wirkte.
    »Und«, fuhr Großmutter fort, »als Sarah niedergekommen war und alles hinter sich hatte, ist sie gleich wieder aufgestanden und hat weitergearbeitet, gerade so, als hätte sie nicht soeben die qualvollsten Schmerzen erlebt, die wir Frauen nun mal klaglos ertragen müssen. Mein Gott, Sarah brachte es doch glatt fertig, zu kochen und dabei einem Neugeborenen das Trinken beizubringen.« Jawohl, dachte ich mir, es ist bestimmt hauptsächlich Sarahs unverwüstliche Gesundheit, die Vater an ihr so anziehend findet. Sonst sagte ihm Sarahs Typ wohl nicht besonders zu, aber man konnte bei ihr davon ausgehen, daß sie nicht im Kindbett sterben und ihn in tiefer, dumpfer Verzweiflung zurücklassen würde.
    Ein Jahr nach Tom kam Fanny mit ihren pechschwarzen Haaren und ihren dunkelblauen Augen, die noch vor ihrem ersten Geburtstag fast ganz schwarz wurden. Unsere Fanny war ein richtiges Indianermädchen – braun wie eine Haselnuß
    – und nur
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