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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: V.C. Andrews
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lebte. So glücklich ist er nie wieder gewesen.« Großmutter hielt inne.
    »Wie ist sie denn gestorben, Großmutter? Ist das ihr Grab?«
    Bevor die alte Frau eine Antwort gab, seufzte sie tief.
    »Gerade achtzehn war dein Vater, als sie starb, und sie war erst vierzehn, als er sie mit der kalten Erde bedecken und weggehen und sie allein lassen mußte. Und er wußte, wie sie die kalten Nächte haßte, ohne ihn. Kind, er hat die ganze Nacht auf ihrem Grab gelegen, um sie warm zu halten. Und es war Februar! Das war meine Geschichte vom Engel, der in die Berge gekommen ist, um deinen Vater zu lieben und ihn glücklich zu machen, so glücklich wie er’s nie wieder war und wohl auch nie wieder sein wird, so wie die Dinge stehen.«
    »Großmutter, mußtest du mich hierher bringen, um mir das alles zu erzählen! Das hättest du mir doch auch zu Hause erzählen können. Auch wenn es eine traurige und schöne Geschichte ist – trotzdem, Vater ist so ekelhaft. Sie hat wohl das beste von ihm mit ins Grab genommen, und das schlechte hat sie uns zurückgelassen. Warum hat sie ihm nicht beigebracht, auch andere Menschen liebzuhaben? Großmutter, ich wünschte mir, sie wäre nie zu uns gekommen! Niemals!
    Dann würde Vater Mutter liebhaben, und mich, nicht nur sie!«
    »Wie?« rief Großmutter erstaunt. »Was denn, Mädchen? Hast du’s noch nicht erraten? Das Mädchen, das dein Vater Engel genannt hat, war deine Mutter! Sie hat dich auf die Welt gebracht, und als du da warst, könnt’ sie kaum mehr sprechen.
    Und sie hat dir den Namen Heaven Leigh gegeben, jawohl.
    Mußt zugeben, daß du mächtig stolz sein kannst auf deinen Namen, von dem man sagt, daß er haargenau zu dir paßt.«
    Ich achtete nicht mehr auf den Wind. Ich kümmerte mich nicht mehr darum, daß mir meine Haare ins Gesicht flatterten.
    Der Mond tauchte hinter einer dunklen Wolke hervor, und ein Lichtstrahl fiel kurz auf den in Stein gehauenen Namen: ENGEL
    Innigst geliebte Frau
    von
    Thomas Luke Casteel

    Beim Anblick des Grabes überkam mich ein eigenartiges Schaudern. »Wo hat Vater denn Sarah gefunden? Und so schnell?«
    Großmutter redete jetzt immer hastiger, als hätte sie schon lange auf diese Gelegenheit gewartet. »Dein Vater brauchte
    ‘ne Frau, um die leere Stelle neben seinem Bett zu füllen. Er haßte die einsamen Nächte, und Männer haben nun mal ein starkes Verlangen, ein körperliches Verlangen, aber das verstehst du erst, wenn du älter bist. Er wollt ‘ne Frau, die ihm das gab, was ihm sein Engel gegeben hatte. Sarah hat sich bemüht, muß man ihr lassen. Sie ist dir ‘ne gute Mutter gewesen, hat dich wie ihr eigenes behandelt. Hat dich großgezogen, dich geliebt. Sarah hat Luke ihren Körper mit Freuden geschenkt, aber sie hat nun mal nicht die Seele von Angel. Jetzt verzehrt er sich nach dem Mädchen, das ‘n guten Menschen aus ihm gemacht hätte. Er war in jener Zeit ein guter Mann, Heaven, – auch wenn du’s nicht glauben magst.
    Denk nur mal, als deine Mutter, der gute Engel, noch lebte, ist er tagein, tagaus jeden Morgen mit seiner Klapperkiste zur Arbeit nach Winnerrow gefahren. Hat alles über Tischlerei, Häuserbauen und so gelernt. Ist jeden Tag von der Arbeit nach Hause gekommen, steckte voller Ideen, wie er uns ein Haus im Tal bauen würde und dort das Land bestellen, Rinder, Schweine und Pferde züchten – ein richtiger Tiernarr, dein Vater. Wie du!«
    Ich war in einer seltsamen Gemütsverfassung, als Großmutter mich zurück in die Hütte brachte und zwischen altem Gerümpel und vielen Kartons, in denen wir unsere erbärmlichen Kleidungsstücke aufbewahrten, etwas hervorzerrte, das in eine alte Bettdecke eingehüllt war. Sie wickelte es aus, und ein eleganter Koffer, den wir Bergler uns nie hätten leisten können, kam zum Vorschein. »Deiner«, flüsterte sie, um die anderen nicht aufzuwecken. »Gehörte deiner Mutter. Hab’ ihr versprochen, ihn dir zur rechten Zeit zu geben. Heut nacht ist wohl die rechte Zeit. Schau dir’s an, Mädchen. Schau rein, was für ‘ne Mutter du hattest.«
    Als könnte man eine tote Mutter in einen teuren Luxuskoffer stopfen!
    Doch als ich ihn aufmachte, blieb mir die Luft weg.
    Vor mir, im trüben Licht des Ofens, lagen die schönsten Kleider, die ich jemals gesehen hatte. Zartes, Spitzenbesetztes, wovon ich nicht mal zu träumen gewagt hätte. Und am Boden des Koffers fand ich etwas Langes, in viel Seidenpapier eingewickelt. Ich merkte es Großmutter an, daß sie aufgeregt war und mich
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