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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: V.C. Andrews
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er mich wenigstens angesehen oder etwas gesagt hätte, um mir zu zeigen, daß er mich ein klein wenig mochte.
    Aber er schaute mich nicht einmal an. Er sprach kein Wort mit mir. Ich war Luft für ihn.
    Aber wenn Fanny die wackligen Stufen unserer Veranda hochstürmte und sich auf seinen Schoß setzte und dabei lauthals verkündete, wie sehr sie sich darüber freue, daß er wieder da sei, dann küßte er sie. Es gab mir einen Stich, zu sehen, wie er sie in die Arme nahm und über ihre langen, glänzend-schwarzen Haare strich. »Wie geht’s, Fanny, mein Mädchen?«
    »Hast mir gefehlt, Vater! Mag nicht, wenn du weg bist. Ist nicht schön ohne dich! Bitte, Vater, bleib diesmal!«
    »Liebes«, murmelte er, »schön, daß einen jemand vermißt –
    vielleicht geh’ ich nur darum immer wieder fort!«
    Es tat weh, zu sehen, wie Vater Fannys Haare streichelte und mich überhaupt nicht beachtete – mehr noch als seine Ohrfeigen und bösen Worte, die ich bekam, wenn ich ihn hin und wieder zwang, mich zu bemerken. Ich lenkte seine Aufmerksamkeit absichtlich auf mich; mit einem riesigen Wäschekorb, in den ich gerade die Wäsche von der Wäscheleine zusammengefaltet hineingelegt hatte, stolzierte ich an ihm vorbei. Fanny grinste mich frech an. Vater würdigte mich keines Blicks und ließ sich nicht anmerken, daß er wußte, wie schwer ich schuftete – obwohl es um seine Mundwinkel zuckte. Wortlos schritt ich an ihm vorbei, als ob ich ihn zuletzt vor zwei Minuten gesehen hätte und er nicht zwei Wochen fortgewesen wäre. Es wurmte mich, daß er mich überging –
    obgleich ich ihn auch nicht beachtete.
    Fanny rührte keine Arbeit an – die erledigten Sarah und ich.
    Großmutter erzählte Geschichten, und Großvater schnitzte.
    Vater kam und ging, ganz wie es ihm beliebte; er verkaufte Schnaps für Schwarzbrenner und manchmal brannte er seinen eigenen, was ihm, laut Sarah, das meiste Geld einbrachte.
    Dabei ängstigte sie sich halb zu Tode, daß man ihn dabei erwischen könnte und er im Gefängnis landen würde – die professionellen Brenner hatten nun einmal kein Verständnis für die zusätzliche Konkurrenz. Er blieb oft ein, zwei Wochen lang verschwunden. Wenn er fort war, ließ Sarah ihre Haare fettig werden und kochte lieblos und schlecht. Kaum aber trat Vater flüchtig lächelnd durch die Tür und warf ihr nur ein paar achtlose Worte hin, so kam Leben in sie; sofort wusch sie sich und zog sich ihre besten Sachen an – sie hatte die Auswahl zwischen drei nicht allzugut erhaltenen Kleidern. Ihr sehnlichster Wunsch, wenn Vater nach Hause kam, war, sich schminken und ein grünes, zu ihren Augen passendes Kleid tragen zu können. Es war leicht zu sehen, daß Sarah all ihre Träume auf den Tag gerichtet hatte, an dem sie sich das leisten konnte, und Vater sie dann endlich so lieben würde wie die arme Tote, die meine Mutter gewesen war.
    Unsere Hütte stand hoch oben in den Bergen und war aus uraltem Holz gebaut. Entweder drang Kälte oder Hitze durch die zahlreichen Astlöcher. Die Hütte war niemals mit Farbe in Berührung gekommen und würde es wahrscheinlich auch nie.
    Sie hatte ein Blechdach, das schon lange vor meiner Geburt verrostet gewesen war. Wie abertausend Tränen war das Wasser über das helle Holz gelaufen und hatte es dunkel gefärbt. Wir sammelten das Wasser in Regenfässern, um es zum Baden und einmal in der Woche zum Haarewaschen zu gebrauchen, wozu wir es dann auf dem alten, gußeisernen Ofen mit dem Spitznamen »Old Smokey« erhitzten. Old Smokey qualmte und spie so viel beißenden Rauch, daß wir ständig husteten und tränende Augen hatten, wenn wir uns drinnen aufhielten und Tür und Fenster geschlossen waren.
    Die Hütte bestand aus zwei Räumen, die durch einen zerschlissenen, ehemals roten Vorhang voneinander getrennt waren, der somit eine Art Tür zum »Schlafzimmer« bildete.
    Unser Ofen diente nicht allein dazu, die Hütte warm zu halten, sondern auch zum Kochen, Backen und – wie gesagt – zum Erhitzen des Badewassers. Einmal in der Woche, vor dem Gottesdienst, wurde gebadet und Haare gewaschen.
    Neben Old Smokey stand ein alter Küchenschrank, der Dosen für Mehl, Zucker, Kaffee und Tee enthielt. Allerdings konnten wir uns überhaupt keinen Zucker, Kaffee oder Tee leisten, doch verbrauchten wir Unmengen von Schweinespeck, um Griebenschmalz zu machen, das wir mit unserem Brot aßen.
    Hatten wir großes Glück, dann fanden wir reichlich Honig und wilde Beeren im Wald. Und in besonders
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