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Dunkle Umarmung

Dunkle Umarmung

Titel: Dunkle Umarmung
Autoren: V.C. Andrews
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gehe.
    »Annie«, sagt er, »das ist nicht nötig. Wir warten die Bestattungsfeierlichkeiten ab und begrüßen alle, die wir begrüßen müssen, draußen.«
    Aber ich kann mir nicht helfen. Etwas lockt mich.
    Ich betrete mein früheres Schlafzimmer nicht. Überall sind Spinnweben. Staub und Schmutz sind allgegenwärtig. Die Gardinen sind fadenscheinig und hängen schlaff herunter. Das Bettzeug sieht fleckig und schmutzig aus.
    Ich schüttele den Kopf, gehe weiter und bleibe vor Jillians Suite stehen, der berühmten Suite, die auf Tonys fanatisches Drängen unverändert geblieben ist, weil er sich weigerte, Jillians Ableben und alles, was ihm damit genommen worden war, zu akzeptieren. Diese Suite hat mich schon immer fasziniert. Sie fasziniert mich auch jetzt noch. Ich schaue zu den Spiegeln ohne Glas, werfe einen Blick auf die Kleidungsstücke, die noch über den Stühlen hängen, auf die Toiletteartikel, die noch auf der Frisierkommode stehen. Ich gehe an alldem vorbei, langsam, bewege mich, wie man sich durch einen Traum bewegt, und die Luft ist wie Gaze.
    Und dann bleibe ich vor Jillians Schreibtisch stehen. Ich weiß nicht, warum ich das tue, aber vielleicht liegt es daran, daß die Schublade einen Spalt geöffnet ist. Alles an diesen Räumen fasziniert mich, und ich frage mich, ob in dieser Schublade etwas sein könnte, was Jillian in den Zeiten ihres Wahnsinns geschrieben haben könnte.
    Die Neugier packt mich, und ich ziehe die Schublade auf. Ich puste den Staub fort, schaue hinein und sehe nur leere Blätter, Stifte und Tinte. Nichts Ungewöhnliches, denke ich, und dann fällt mein Blick auf den Stoffbeutel ziemlich weit hinten in der Schublade, und ich greife danach.
    Darin ist ein Buch. Ich ziehe es langsam heraus.
    LEIGHS BUCH, steht darauf. Ich halte den Atem an. Es ist das Tagebuch meiner Großmutter. Ich schlage die erste Seite auf und werde in andere Zeiten versetzt.
    1. KAPITEL

    LEIGHS BUCH DER ERINNERUNGEN

    Ich glaube, es hat mit einem Traum angefangen. Nein, kein Traum, sondern eher eine Art Alptraum. In ihm stand ich neben meinen Eltern – ich weiß nicht, wo. Sie sprachen miteinander, und manchmal drehten sie sich zu mir und sagten etwas. Die Sache war nur die, daß sie mich anscheinend nie hören konnten, wenn ich versuchte, Worte zu formen.
    Während ich immer wieder versuchte, mich an ihrem Gespräch zu beteiligen, wollte ich mir mit der Hand das Haar aus dem Gesicht streichen. Aber mein Haar ließ sich nicht zurückstreichen – statt dessen stellte ich voller Entsetzen fest, daß mir ein dickes Haarbüschel in die Hand fiel. Immer wieder strich ich mir das Haar zurück, und jedesmal, wenn ich das tat, löste sich wieder eine neue Strähne von meinem Kopf. Voller Entsetzen starrte ich die dichten Locken in meiner Hand an.
    Was ging hier vor? Plötzlich tauchte ein Spiegel vor mir auf, und darin konnte ich mein Abbild sehen. Ich unterdrückte mühsam einen Schrei. Mein schöner Kaschmirpullover hatte überall Löcher, und mein Rock war zerrissen und schmutzig.
    Dann beobachtete ich, wie vor meinen ohnehin schon ungläubigen Augen meine Züge anschwollen. Als ich dicker und immer dicker wurde, fing ich an zu weinen. Tränen rannen über meine verschmierten Wangen. Ich riß den Blick von meinem Spiegelbild los, drehte mich zu meinen Eltern um und schrie um Hilfe. Meine Schreie hallten von den Wänden wider.
    Und doch unternahmen meine Eltern nichts. Warum wollten sie mir nicht helfen?
    Ich konnte nicht aufhören zu schreien. Endlich, als ich schon glaubte, ich hätte keine Stimme mehr und könnte keinen Laut mehr von mir geben, drehten sie sich zu mir um. Erstaunte Blicke traten auf ihre Gesichter. Ich wollte Daddy rufen, damit er mich mit Umarmungen und Küssen überschüttete – mich beschützte, wie er es immer getan hatte –, doch ehe ich den Mund aufmachen konnte, trat ein Ausdruck des Abscheus auf sein Gesicht! Ich schreckte entsetzt zurück, und dann verschwand er. Nur Mama blieb. Zumindest glaubte ich, es sei Mama. Diese Fremde sah genauso aus wie sie… bis auf die Augen. Ihre Augen waren so kalt! Kalt und berechnend – ohne die Liebe und Wärme, die ich täglich dort gesehen hatte.
    Wohin war sie entschwunden? Warum sah sie mich bloß so an? Meine wunderschöne Mama hätte mich niemals so haßerfüllt angesehen. Ja, es war Haß… und Eifersucht! Meine Mama würde mich in diesem Augenblick größter Verzweiflung nicht im Stich lassen. Und doch tat sie nichts.
    Erst trat ein
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