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Dunkle Umarmung

Dunkle Umarmung

Titel: Dunkle Umarmung
Autoren: V.C. Andrews
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sie glücklich war, kalt wie Eiszapfen, wenn sie wütend war, matt und traurig wie ein Welpe, der sich verlaufen hatte, wenn sie unglücklich war.
    »Als er mich angesehen hat«, sagte sie zu ihrem eigenen Abbild im Spiegel, »ist sein Herz schon im ersten Augenblick meiner Schönheit verfallen.
    Selbstverständlich«, fügte sie hinzu und drehte sich schnell zu mir um, »waren deine Tanten wahnsinnig eifersüchtig. Sie haben mich dieses langweilige braune Kleid anziehen lassen, das mir bis auf die Knöchel gefallen ist und meine Figur nicht gezeigt hat, und sie haben mir nicht erlaubt, irgendwelchen Schmuck zu tragen. Ich mußte mir das Haar zu einem Knoten aufstecken und durfte mich nicht schminken, nicht einmal eine Spur Lippenstift auftragen.
    Aber Cleave hat hinter all das geschaut. Seine Blicke waren den ganzen Abend über auf mich gerichtet, und jedesmal, wenn ich etwas gesagt habe, und sei es nur: ›Könnte ich bitte das Salz haben?‹, hat er sich mitten im Satz unterbrochen, um meinen Worten zu lauschen, als seien es Perlen der Weisheit.«
    Sie seufzte, und ich seufzte jetzt auch. Wie wunderbar es sein mußte, dachte ich, derart romantische Erinnerungen zu haben.
    Mehr als alles andere wünschte ich mir, eines Tages meine eigenen ebenso romantischen Erinnerungen zu besitzen.
    »Hast du dich auch augenblicklich in ihn verliebt?« Auch darauf kannte ich die Antwort, aber ich mußte sie noch einmal hören, damit ich alles richtig in meinem Buch niederschreiben konnte.
    »Nicht auf der Stelle, aber ich habe gemerkt, daß ich mich ihm immer mehr zugewandt habe. Ich fand, daß er mit einem komischen Akzent sprach, verstehst du, diesem Akzent aus Boston, und deshalb hat mich alles fasziniert, was er gesagt hat. Er war distinguiert und hatte das Auftreten eines erfolgreichen Geschäftsmannes: voller Selbstvertrauen, aber nicht steif; er trug kostspielige Kleidung und hatte eine dicke goldene Taschenuhr mit der längsten goldenen Uhrkette, die ich je gesehen hatte. Wenn er den Sprungdeckel öffnete, spielte sie die Melodie ›Greensleeves‹.«
    »Hat er wie ein alter Seebär ausgesehen?« fragte ich lachend.
    Daddy erzählte mir immer, es sei so gewesen.
    »Ich wußte nichts über das Meer oder über seine Geschäfte, da ich mein ganzes Leben mitten in Texas verbracht hatte, aber er hatte denselben Bart, den er heute noch trägt, nur war er damals noch nicht ganz so grau – und wesentlich gepflegter, muß ich hinzufügen. Jedenfalls hat er in aller Ausführlichkeit von seiner Dampfschiffahrtsgesellschaft erzählt, die immer weiter wuchs. Großmama fand das interessant«, meinte sie mit einem hämischen Lächeln. »Sie rechnete sich schon aus, was für einen reichen Freier Peggy haben würde.«
    »Und was ist dann passiert?«
    »Er hat darum gebeten, sich unsere Gärten ansehen zu dürfen, und ehe Großmama Peggy dazu bringen konnte, ihn dort herumzuführen, hat er sich an mich gewandt und mich gefragt, ob ich sie ihm zeigen würde. Du hattest ihre Gesichter sehen sollen! Peggys Gesicht wurde noch länger als sonst, ihr Kinn ist bis auf ihren Adamsapfel gefallen, und Beatrice hat doch tatsächlich gestöhnt.
    Natürlich habe ich mich bereit erklärt, ihn herumzuführen, erst nur, um die anderen zu ärgern, doch als wir erst in die warme Nacht von Texas hinausgetreten waren…«
    »Ja?«
    »… und er mit sanfter Stimme zu reden begann, erkannte ich, daß Cleave van Voreen mehr als nur ein fader Geschäftsmann aus New England war. Er war reich und klug und auf seine Art gutaussehend, ja, aber außerdem war er auch sehr einsam und ganz und gar von mir hingerissen, derart hingerissen, daß er mir doch tatsächlich an jenem ersten Abend einen Heiratsantrag gemacht hat. Wir standen neben den jungen Rosenstöcken.«
    »Ich dachte, du hättest auf der Schaukel gesessen, und es sei erst am zweiten Abend dazu gekommen.«
    »Nein, nein, es war bei den Rosensträuchern, und es war am ersten Abend. Die Sterne… der Nachthimmel war von Sternen übersät. Über uns fand eine solche Explosion an Licht statt, daß es mir den Atem geraubt hat«, erklärte sie, legte zart die Finger auf ihre Kehle und schloß die Augen, als sei diese Erinnerung mehr, als irgend jemand ertragen könnte.
    Ich hielt den Atem an. Heute abend erzählte sie die Geschichte noch besser als je zuvor. Sie will sie ganz besonders schön für mich machen, weil heute mein zwölfter Geburtstag ist, dachte ich. Vielleicht wandelte sie die Geschichte von Mal zu
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