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Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser
Autoren: Joe R. Lansdale
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wir dort waren, zeigte Jinx auf die Stelle, wo May Lynns Mutter mit dem Hemd um den Kopf ins Wasser gegangen war.
    »Genau da war es«, sagte sie, als wüssten wir das nicht.
    Wir liefen den von Kiefernnadeln bedeckten Hang rauf. Das Haus stand auf einem Hügelkamm, leicht erhöht auf ein paar schiefen Kreosotpfählen; es war dort oben gebaut worden, damit es nicht davonschwamm, wenn der Fluss übers Ufer trat. Allerdings machte es auch so schon den Eindruck, als würde der ganze Kladderadatsch demnächst den Hang runterpurzeln und in den Fluss fallen, ungefähr da, wo May Lynns Mama ertrunken war.
    Als wir oben ankamen, riefen wir laut: »Hallo, ist da jemand?«, damit May Lynns Daddy nicht erschrak und uns eine Ladung Schrot in den Hintern jagte.
    Keiner antwortete, aber wir warteten trotzdem noch eine Weile. Nur falls er seinen Rausch ausschlief. Ein Stück hangaufwärts befandsich ein Klohäuschen, und von dort verlief ein Graben nach unten ins Wasser, die Kanalisation. Der Inhalt des Plumpsklos rauschte in dem Graben den Hügel runter und in den Fluss. Terry betrachtete die Toilette einen Moment und sagte dann: »Besonders hygienisch ist das aber nicht. Man soll seine Ausscheidungen vom Wasser fernhalten. Das weiß doch jeder! Deshalb gräbt man auch eine Latrine, keinen Ablauf. Reine Faulheit, das.«
    »Ihr alter Herr ist eben faul«, erwiderte ich. »Was willst du machen?«
    Wir standen unterhalb des Hauses und warteten, ob jemand rauskam. Als alles ruhig blieb, riefen wir noch mal, alle drei gemeinsam. Wieder nichts.
    Eine Treppe führte die letzten paar Meter zu der verwitternden Veranda rauf, und wir stiegen sie hoch. Die Stufen schwankten bei jedem Schritt. An den Seiten waren sie mit Holzleisten an der Plattform festgemacht, und wo die letzte Stufe hätte sein sollen, gähnte ein Loch. Man musste einen Riesenschritt machen und vorsichtig auf die Veranda klettern, die heftig wackelte, als wir sie schließlich erreicht hatten.
    Wir riefen ein letztes Mal, aber noch immer antwortete niemand. Außer Cletus Baxter wohnte da auch keiner mehr. May Lynns Bruder Jake war vor etwa einem Jahr umgekommen. Angeblich hat er Banken überfallen, aber die meisten Leute behaupten, er hätte nur Tankstellen ausgeraubt. Zwischendurch versteckte er sich unten am Sabine River, und niemand verriet ihn an die Polizei. Er war nicht unbedingt beliebt, aber er war hier geboren, hatte eine Pistole und wurde schnell wütend – mit so jemand wollte sich keiner anlegen.
    Natürlich wusste Constable Sy Higgins, wo er steckte, aber ihn kümmerte das alles nicht, solange Jake ihm seinen Anteil bezahlte. Constable Sy, so erzählten sich die Leute, hörte immer gerne, dass Jake wieder einen Überfall durchgezogen hatte, denn dannkonnte er sich ein paar Flaschen Whisky oder eine neue Augenklappe leisten.
    Bevor irgendwelche Gesetzeshüter, die ihren Job ernst nahmen, Jake aufspüren konnten – wenn es denn überhaupt jemand versuchte –, erkältete er sich, bekam eine Lungenentzündung und starb hier im Haus.
    Nachdem wir geklopft hatten und niemand an die Tür kam, sagte Terry: »Was um Himmels willen haben wir hier verloren? May Lynn liegt auf dem Friedhof.«
    Ich war die Einzige, die Cletus Baxter schon mal begegnet war. Besucht hatten wir May Lynn alle, aber da war Cletus nie zu Hause gewesen. Als ich ihm über den Weg gelaufen war, hatte er mich nicht mal mit einem Kopfnicken oder einem Furz begrüßt. Ihre Mama hatten wir alle gekannt; eine stille, dünne Frau mit Haaren wie feuchter Weizen und einem Gesicht, in dem die ganze Traurigkeit der Welt lag.
    Sogar Jake hatten wir mal getroffen; ein gutaussehender Mann mit dunklen Augen und einer Narbe über der rechten Wange, wo ihm eine alte Flinte losgegangen war, als er etwa in unserem Alter gewesen war. Er war ganz freundlich gewesen, hatte uns aber die ganze Zeit angeschaut, als wären wir von der Bundespolizei und würden ihn jeden Moment abknallen, weil er an einer Tankstelle fünfundzwanzig Dollar geklaut hatte.
    »Schon merkwürdig«, sagte ich. »Jetzt sind wir hier und wissen nicht, warum.«
    »Wir sind einfach nur neugierig, deshalb«, sagte Jinx.
    Ich klopfte noch einmal an der Tür, und dieses Mal gab sie nach. Wir standen alle da und glotzten den offenen Spalt an. Dann streckte ich die Hand aus, versetzte der Tür einen Stoß und trat über die Schwelle, als hätte mich jemand reingebeten.
    »So etwas tut man nicht«, sagte Terry.
    »Da hast du wohl recht«, sagte
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