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Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser
Autoren: Joe R. Lansdale
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waren, hat’s nicht mehr ernsthaft geregnet.«
    »Deswegen kann die Leiche trotzdem rausgefallen sein, und das Wasser hat sie fortgetragen.«
    »Das werden wir wohl nie rausfinden«, sagte sie. »Aber wie soll hier das Wasser höher steigen als jetzt, wenn’s gar nicht groß geregnet hat?«
    »Du bist doch diejenige, die nicht an Wunder glaubt. Er ist bestimmt nicht einfach davongelaufen, so ganz ohne Kopf.«
    Ich vermutete, dass die Leiche vielleicht von jemandem ausgegraben worden war, aus reiner Neugier, weil ein Teil von ihr aus der Erde rausragte. Aber warum sollte das irgendwer machen? Vielleicht hatten ihn auch wilde Tiere rausgezerrt, ein Alligatoroder so. Das war immerhin möglich. Aber wenn ich ehrlich bin, wusste ich damals nicht, was passiert war, und ich weiß es auch heute nicht.
    Jedenfalls sind wir mit dem Geld und May Lynn nach Gladewater zurückgelaufen. Wir trafen am frühen Abend dort ein, und später, als es bereits dunkel war, nahmen wir das Geld in der Pension aus dem Kübel. Es ließ sich nicht einfach aufteilen, wegen der paar größeren Scheine. Mama bekam keinen Anteil, aber ich versprach ihr die Hälfte meines Drittels. Am nächsten Tag kauften wir uns Busfahrscheine, um am Morgen darauf nach Kalifornien zu fahren. Unterwegs wollten wir ein paar Mal haltmachen und uns die Gegend anschauen. Sagte Mama jedenfalls.
    Wir redeten darüber, wie wir May Lynns Asche an einem berühmten Platz in Hollywood verstreuen würden – nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal hatten wir das Gefühl, dass tatsächlich was draus werden würde. Während wir uns so unterhielten, warf ich Terry einen verstohlenen Blick zu. Er hatte Tränen in den Augen. Gut möglich, dass er sich nicht mehr für einen Mörder hielt, aber verantwortlich fühlte er sich noch immer. Mir wurde bewusst, dass ich ihm wirklich und tatsächlich verziehen hatte; er würde sich selbst genügend Vorwürfe machen. Außerdem war ich sauer auf May Lynn, obwohl sie tot war; sie hätte ihn einfach nicht so behandeln dürfen. Aber ihr verzieh ich genauso wie Terry.
    Terry erzählte Mama nicht, was er getan hatte, und ich und Jinx wollten das auch gar nicht. Wir fanden, dass es besser war, keine schlafenden Hunde zu wecken.
    Bevor wir an dem Abend ins Bett gingen, redeten Mama und ich noch unter vier Augen. Dabei saßen wir in Schaukelstühlen auf der Veranda und ließen uns den kühlen Wind um die Nase wehen. Nach einer Weile fragte ich: »Mama, träumst du immer noch von dem schwarzen Pferd?«
    »Weißt du, nachdem Skunk tot war, haben die Träume fast ganzaufgehört. Und als ich Don in die Wüste geschickt hab, hab ich in der nächsten Nacht davon geträumt, dass ich das weiße geflügelte Pferd eingeholt hab, und es hat mich aufsteigen lassen. Merkwürdig daran war, Sue Ellen, dass ich dabei splitterfasernackt war, wie ich da auf dem Pferd über den Himmel geritten bin, direkt auf den Mond zu. Dann hab ich nach unten geschaut und das schwarze Pferd gesehen. Es flog ganz ohne Flügel, und dann löste es sich auf, als würde es aus lauter Schatten bestehen, und diese Schatten wurden von der Nacht verschluckt. Ich und das weiße Pferd, wir sind einfach weitergeflogen, ganz schnell dem Mond entgegen. In der nächsten Nacht hab ich überhaupt nichts Derartiges mehr geträumt.«
    »Hört sich gut an«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Mama. »Das ist es auch.«
    Während wir schliefen, lagen unsere Fahrscheine auf einem Beistelltischchen, beschwert von dem Einmachglas mit May Lynns Asche. Das Glas mit dem Geld stand direkt daneben.
    Irgendwann nachts wachte ich in meinem kleinen Bett auf und dachte, ich wäre wieder auf dem Floß und würde flussabwärts treiben. Ich schaute mich im Zimmer um; es dauerte eine Weile, bevor ich begriff, dass ich mich nicht nur nicht auf dem Floß befand, sondern dass auch Skunk nicht mehr hinter uns her war. Niemand war mehr hinter uns her. Ich stand auf, schlüpfte in Hemd, Latzhosen und Schuhe und schlich mich raus.
    Auf der Straße schlug ich den Weg runter zum Fluss ein. Das war ein ganz ordentliches Stück, aber die Nacht war schön, und ich fühlte mich wohl in meiner Haut. Den Fluss konnte ich riechen und hören, bevor ich ihn erreichte. Schließlich kam ich zu der Stelle, wo Captain Burke mich und Jinx eingeladen hatte, um mit dem Motorboot flussaufwärts zu fahren.
    Ich setzte mich auf einen ebenen Fleck, von wo aus ich das Wassersehen konnte. Der Fluss war ganz nah. Ich hätte in das dunkle Gewässer spucken
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