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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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zufriedenstellende Reaktion. Sein Gesicht war meinem nahezu identisch, und sogar unsere Eltern hatten Schwierigkeiten, uns auf einige Entfernung auseinanderzuhalten, denn wir hatten dasselbe grüblerische Aussehen, dunkles und volles Haar, das uns immer wieder bis über die Augen fiel, hohe Backenknochen, schwere Augenbrauen und ein kantiges Kinn. Mutter beklagte sich oft über den, wie sie es nannte, »erbarmungslosen Zug« um unsere Lippen. Ein Merkmal der Frankensteins, nicht der Beaufort-Linie der Familie, dessen war sie sich ziemlich sicher.
    »Victor«, sagte mein Bruder, »so langsam glaube ich, dass du dir gar nicht den Knöchel verstaucht hast. Du schauspielerst uns was vor. Mal wieder. Komm schon, hoch mit dir!«
    »Dafür bin ich nicht kräftig genug!«, wehrte ich ab. »Elizabeth, du warst dabei, als der Doktor mich untersucht hat. Sag’s ihm.«
    Elizabeth hob die Augenbrauen. »Ich meine mich zu erinnern, dass er gesagt hat, der Knöchel könnte verstaucht sein. Leicht.«
    »Dann kannst du auch schon längst wieder allein durch die Gegend humpeln!«, posaunte Konrad und wollte mich aus dem Stuhl ziehen. »Häng doch nicht so schlapp rum!«
    »Mutter regt sich dann nur auf!«, sagte ich und versuchte ihn abzuschütteln. »Ich könnte für immer gelähmt …«
    »Ihr zwei«, sagte Elizabeth seufzend und dann fing sie an zu kichern, denn es musste schon sehr komisch ausgesehen haben, wie wir zwei uns rumbalgten, während der Rollstuhl durch die Gegend schaukelte.
    Dann fiel er um und kippte mich auf den Boden.
    »Du Blödmann!«, schrie ich und kam auf die Beine. »Geht man so mit einem Verletzten um?«
    »Du bist eine richtige kleine Diva«, sagte Konrad. »Schau mal an, du stehst ja!«
    Ich krümmte mich und zuckte theatralisch, doch Konrad brach in Lachen aus und ich dann auch. Es war unmöglich, sich selbst beim Lachen zu beobachten, ohne mitzumachen.
    »Es tut immer noch weh«, sagte ich und belastete vorsichtig den Fuß.
    Er gab mir die Krücken, die Dr. Lesage dagelassen hatte. »Versuch’s damit«, meinte er, »und gönne Elizabeth mal eine Pause.«
    Elizabeth hatte den Rollstuhl aufgerichtet und sich anmutig auf dem gepolsterten Sitz niedergelassen.
    »Du kleiner Schuft«, sagte sie zu mir, wobei sie die haselnussbraunen Augen leicht zusammenkniff. »Es ist sehr bequem. Ich verstehe schon, warum du da nicht mehr raus-gewollt hast!«
    Elizabeth war eine entfernte Cousine väterlicherseits von uns. Sie war erst fünf gewesen, als ihre Mutter starb. Ihr Vater hatte wieder geheiratet und sie unverzüglich in ein italienisches Nonnenkloster abgeschoben. Als Vater ein paar Jahre später davon erfuhr, war er sofort hingefahren und hatte sie zu uns nach Hause gebracht.
    Anfangs war sie wie eine verwilderte Katze gewesen. Sie versteckte sich. Konrad und ich, sieben Jahre alt, versuchten ständig, sie zu finden. Für uns war das ein schönes Versteckspiel, doch für sie war es kein Vergnügen, sie wollte einfach für sich alleine sein. Wenn wir sie dann fanden, wurde sie wütend. Sie fauchte, fletschte die Zähne und schlug nach uns.
    Unsere Eltern sagten, sie brauche etwas Zeit. Sie meinten, Elizabeth habe das Kloster nicht verlassen wollen. Die Nonnen waren sehr freundlich zu ihr gewesen und ihre Zuneigung war für Elizabeth der Liebe einer Mutter am nächsten gekommen. Sie wollte dort nicht herausgerissen werden und bei Fremden leben. Konrad und ich sollten sie in Ruhe lassen, aber natürlich hielten wir uns nicht daran.
    In den nächsten beiden Monaten verfolgten wir sie weiter. Doch als wir sie dann eines Tages in ihrem neuesten Versteck entdeckten, lächelte sie uns tatsächlich an. Vor Überraschung hätte ich fast aufgeschrien.
    »Macht die Augen zu«, wies sie uns an. »Zählt bis hundert und sucht mich dann wieder.«
    Nun war es wirklich ein Spiel, und von diesem Moment an wurden wir drei unzertrennlich. Ihr Lachen erfüllte das Haus und ihre Verdrossenheit und Schweigsamkeit waren verschwunden.
    Ihre Wutausbrüche dagegen nicht.
    Elizabeth war hitzig. Sie verlor die Beherrschung nicht so schnell, doch wenn sie es tat, wurde sie wie früher zur Wildkatze. Während unseres Zusammenlebens hatten wir uns oft wegen irgendeiner Meinungsverschiedenheit gestritten. Einmal hatte sie mich sogar gebissen, als ich behauptete, das Gehirn von Mädchen sei kleiner als das von Jungs. Konrad schien sie nie so in Zorn zu bringen, wie ich das konnte, doch sie und ich bekämpften uns mit Zähnen und Klauen.
    Jetzt,
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