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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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mit fünfzehn, lag all das weit hinter uns.
    »Also dann«, sagte Konrad und grinste Elizabeth hinterlistig an, »bist du jetzt mit dem Stuhl an der Reihe.«
    Mit Höchstgeschwindigkeit schob er sie aus dem Raum nach draußen und den großen Flur entlang. Ich beeilte mich, auf meinen Krücken mitzuhalten, doch dann warf ich sie zur Seite und rannte ihnen mit meinem auf wundersame Weise geheilten Knöchel hinterher.
    Von ihren großen Porträts blickten unsere Ahnen selbstgefällig auf mich herab. Eine Schildwache stand in voller Rüstung an ihrem Platz und schwang ihr noch immer blutverschmiertes Schwert.
    Weiter vorne sah ich Konrad und Elizabeth in der Bibliothek verschwinden und folgte ihnen. Mitten in dem großen Raum mit den ausladenden Bücherwänden ließ Konrad Elizabeth im Rollstuhl immer schneller um die eigene Achse kreiseln, bis sie schrie, er solle aufhören.
    »Konrad, mir wird schwindlig!«
    »Na gut«, sagte er, »dann lass uns stattdessen tanzen.« Und er nahm sie an den Händen und zog sie nicht allzu sanft aus dem Stuhl.
    »Ich kann nicht!«, protestierte sie und schwankte wie eine Betrunkene, als Konrad mit ihr ungeschickt durch den Raum tanzte.
    Ich sah ihnen zu, und da war in mir ein kurzes Aufflackern eines Gefühls, das ich nicht deuten konnte. Es sah aus, als würde ich mit Elizabeth tanzen, doch ich war es nicht.
    Lachend fing sie meinen Blick auf. »Victor, mach, dass er aufhört! Ich muss so lächerlich aussehen!«
    Sie war mit uns aufgewachsen und an raue Spiele gewöhnt, da machte ich mir um sie keine Gedanken. Hätte sie gewollt, dann hätte sie sich längst aus Konrads Klauen befreien können.
    »Na gut, meine Dame«, sagte Konrad. »Ich entlasse dich.« Und damit gab er ihr einen letzten Schwung und ließ sie los.
    Immer noch lachend, taumelte Elizabeth zur Seite, versuchte, ihr Gleichgewicht zu erlangen, und fiel dann gegen ein Regal, wobei sie mit der Hand eine ganze Reihe von Büchern vom Brett fegte, bevor sie zu Boden ging.
    Mit gespielter Strenge blickte ich meinen Zwillingsbruder an. »Konrad, jetzt sieh mal, was du angerichtet hast, du Schurke!«
    »Nein. Schaut mal, was ich angerichtet habe!«, rief Elizabeth. Das Regal hinter ihr schwang an unsichtbaren Scharnieren nach innen und legte einen schmalen Durchgang frei.
    »Unglaublich!«, rief ich. »Ein Geheimgang, den wir noch nicht entdeckt haben!«
    Schloss Frankenstein war von unseren Vorfahren vor mehr als dreihundert Jahren außerhalb des Dorfs Bellerive erbaut worden, keine vier Meilen von Genf entfernt. Es war ebenso zum Wohnen angelegt worden wie auch als Festung, und seine dicken Mauern und hohen Türme erhoben sich über dem See von einer Felszunge, die von drei Seiten von Wasser umgeben war.
    Obwohl wir auch ein schönes Haus mitten in Genf hatten, wohnten wir dort nur in den Wintermonaten und mit den ersten Vorboten des Frühlings zogen wir zurück in das Schloss. Im Laufe der Jahre hatten Konrad, Elizabeth und ich unzählige Stunden damit verbracht, seine vielen Stockwerke, die prachtvollen Zimmer und Festsäle, das Bootshaus, die Ställe und Befestigungswälle zu erforschen. Es gab feuchte unterirdische Verließe, Fallgitter, die nach unten ratterten, um die Eingänge zu blockieren – und, natürlich, Geheimgänge.
    Voller Naivität hatten wir angenommen, wir hätten bereits alle entdeckt. Doch nun standen wir drei da und starrten entzückt auf dieses Loch in der Wand der Bibliothek.
    »Hol einen Kerzenleuchter«, sagte Konrad zu mir.
    » Du holst einen Kerzenleuchter«, gab ich zurück. »Ich kann auch im Dunkeln sehen.« Und damit drückte ich gegen das schwere Regal, sodass es weiter nach innen aufschwang – gerade so weit, dass sich eine Person durchquetschen konnte, wenn sie sich seitlich hineinschob. Dahinter war es vollkommen dunkel, doch ich bewegte mich entschieden mit ausgestreckten Händen voran.
    »Sei doch nicht so verrückt«, sagte Elizabeth und packte mich am Arm. »Da könnte eine Treppe sein – oder gar nichts. Du bist diese Woche schon einmal fast zu Tode gestürzt.«
    Mit einem Leuchter in der Hand drückte sich Konrad nun an uns vorbei und ging voran. Ich schnitt eine Grimasse und folgte Elizabeth, doch schon nach zwei Schritten blieb Konrad abrupt stehen.
    »Halt! Hier ist kein Geländer und es geht richtig tief hinunter.«
    Wir drei standen dicht aneinandergedrängt auf einem schmalen Sims über einem großen rechteckigen Schacht. Das Kerzenlicht reichte nicht bis hinab zum
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