Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
im Ernst, Victor.«
    »Du kannst die größere Zelle kriegen. Mir ist es egal.«
    Diesmal lachte sie.
    Die Sonne ging langsam unter, als Vater, immer noch in Reitkleidung, in der Tür erschien. Er sah erschöpft aus, aber ruhig. »Kommt mit«, sagte er zu uns dreien.
    Wir folgten ihm in sein Arbeitszimmer, wo auch Mutter und Dr. Murnau saßen.
    »Er wird doch gesund, oder?«, fragte ich den Doktor.
    »Morgen nehme ich ihm Blut für meine Untersuchungen ab. Aber es scheint, als sei die Krisis vorbei.« Er beugte seine knochige Gestalt im Sessel vor. »Victor, wenn ich alles richtig verstanden habe, dann haben Sie ihm vor ein paar Nächten ein Elixier verabreicht. Ich muss seine genauen Bestandteile wissen.«
    »Da war eine seltene Flechte von einem Baum im Sturmwald«, fing ich an.
    »Beschreiben Sie sie.«
    »Blassbraun und von der Struktur wie Stickerei oder Korallen. Usnea lunaria war ihr Name«, fügte ich hinzu, nachdem es mir plötzlich wieder eingefallen war.
    Der Doktor schürzte die Lippen und nickte. »Was noch?«
    »Quastenflosseröl«, sagte ich. »Und menschliches Knochenmark.«
    Ich sah, wie sich seine Augen auf meine Hand richteten. »Um Ihre Hand kümmere ich mich in Kürze. Sonst noch etwas?«
    »Nein, mehr nicht. Aber wie Polidori das alles zubereitet hat, wissen wir nicht.«
    »Ist es schädlich?«, fragte Vater Dr. Murnau.
    »Wir werden Konrad in den nächsten Tagen sorgfältig beobachten, doch er zeigt keine Anzeichen einer Vergiftung. Ganz im Gegenteil. Die Bestandteile, die Ihr Sohn benannt hat, sind ungewöhnlich und widerlich, aber es ist durchaus möglich, dass sie eine heilsame Wirkung haben. In der Volksmedizin werden Flechten oder Pilze oft als Tee aufgebrüht, um Infektionen oder Fieber zu bekämpfen. Und was das Fischöl betrifft, so ist bei vielen Ölen vermerkt worden, dass sie eine stärkende Wirkung auf den Patienten haben, auch wenn wir nicht wissen, warum.«
    »Und das Knochenmark?«, fragte Mutter.
    »Ein Rätsel«, sagte der Doktor und schob seine Brille hoch. »Wenngleich einer meiner Studenten einmal behauptet hat, ein zerstoßener Knochen habe erstaunlicherweise eine besondere Konzentration dynamischer Blutzellen vorzuweisen. Doch was die Nützlichkeit Ihres Elixiers insgesamt betrifft« – er fuchtelte mit seinen skelettartigen Händen herum –, »so gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis. An betrügerischen Heilmitteln, die von Scharlatanen angepriesen werden, gibt es keinen Mangel. Ich würde sagen, junger Herr Frankenstein, Sie hatten immenses Glück, dass dieses spezielle Elixier gutartig war. Ich habe einige erlebt, die schreckliche Folgen für den menschlichen Körper hatten.«
    Vater blickt Elizabeth und mich streng an. »Ihr hättet euren Bruder umbringen können.«
    »Es ist auch möglich, dass wir ihm das Leben gerettet haben!«, erwiderte ich und Wut kochte in mir hoch.
    Dr. Murnau leckte sich nervös die Lippen. »Victor, was wir hier erlebt haben, ist ein Zufall – dazu noch ein gefährlicher, sollte er Sie davon überzeugt haben, dass dieses Elixier irgendeinen Wert besitzt.«
    Das Blut pochte mir in den Ohren. Ich antwortete nicht. Ich hatte es nicht nötig, ihn zu überzeugen. Die Tat war vollbracht und die Wahrheit lag für mich auf der Hand: Das Elixier war kein Schwindel.
    »Und jetzt hört mir gut zu«, sagte Vater zu Elizabeth, Henry und mir. »Sobald Polidori gefasst ist und vor Gericht steht, wird eure Beteiligung an dieser beschämenden Affäre allgemein bekannt werden. Aber hier geht es nicht nur um die allgemeine Peinlichkeit, hier geht es um eure Unschuld.«
    »Alphonse«, sagte Mutter, »Du machst ihnen Angst – und mir auch.«
    »Werden wir dann angeklagt?«, fragte Elizabeth.
    »Das Gesetz besagt: Es handelt sich um Betreibung von Alchemie, wenn man davon profitiert oder einer Person Substanzen verabreicht.«
    »Ich war es, der Konrad das Elixier verabreicht hat«, sagte ich schnell, denn es stimmte ja auch. »Ich hab es ihm auf die Zunge geträufelt. Wenn irgendjemand angeklagt werden soll, dann ich.«
    »Das ist nicht gerecht«, wandte Elizabeth ein. »Es war vielleicht Victors Hand, die das Fläschchen gehalten hat, aber ich hätte das Elixier verabreicht, wenn er schwankend geworden wäre. Ich bin in gleicher Weise schuldig.«
    »Und ich auch«, sagte Henry mit gesenktem Kopf.
    »Niemand wird jemals davon erfahren, dass Konrad das Elixier genommen hat«, betonte mein Vater und blickte uns alle nacheinander an. »Dr. Murnau hat bereits
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher