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Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)

Titel: Düsteres Verlangen: Die wahre Geschichte des Victor Frankenstein (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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kletterten dennoch auf die Sitzbänke, um unsere Beine in Sicherheit zu bringen.
    »Wie bekommen wir es da raus?«, murmelte Elizabeth.
    »Wenn wir ihn erschlagen, zerbricht er es vielleicht«, meinte Henry.
    Krakes Augen flackerten die ganze Zeit zwischen uns hin und her, und ich hatte das unheimliche Gefühl, dass er verstand, was wir sagten. Langsam, fast schon blasiert, schloss er das Maul – und schluckte.
    »Nein!«, schrie ich.
    Der Luchs hatte seine Mühe damit. Er würgte und kämpfte, doch als er das Maul aufmachte, war das Fläschchen weg. Seine beunruhigend grünen Augen richteten sich auf mich, und ich hätte schwören können, dass er grinste.
    »Dieser Teufel!«, schnaubte Henry. »Wie kriegen wir das jetzt wieder raus?«
    Elizabeth und ich sahen einander an, und ich wusste, dass uns gerade dieselbe Idee gekommen war.
    »In der Kajüte hab ich ein Messer gesehen«, sagte sie.
    »Ja«, antwortete ich.
    Ich wollte keinen Augenblick vergeuden. In Krakes Magen könnte sich der Stöpsel vielleicht lösen – und dann hätten wir einen überaus gesunden und kräftigen Luchs hier bei uns an Bord.
    Mit einer Laterne eilte ich nach unten und suchte in der engen Kajüte herum. Mitten in dem Durcheinander fand ich eine Harpune und ein Messer zum Entbeinen. Ich nahm beides mit nach oben an Deck.
    Im selben Moment, in dem Krake mich sah, war ihm alles klar. Sofort wurden seine Augen so sanftmütig und flehentlich wie die eines Kätzchens. Er streckte seine Pfoten durch das Netz und miaute so steinerweichend, dass ich merkte, wie ich schwankend wurde. Damals im Sturmwald hatte er uns das Leben gerettet.
    Das hatte alles zu Polidoris finsterem Plan gehört, machte ich mir klar.
    Ich zwang meinen Kopf, ruhig zu sein, und meine Glieder, nicht zu zittern. Dann holte ich tief Luft und nahm die Harpune in die Hände.
    Töte ihn.
    Ins Herz durfte ich ihn nicht stechen, denn das Herz, das wusste ich, befand sich gefährlich nahe beim Magen, und in Krakes Magen befand sich das Glasfläschchen.
    So hob ich die Harpune und stach sie ihm in den Hals.
    Er jaulte und krümmte sich ganz entsetzlich, aber ich stach wieder zu, fester. Ich war mir selbst fremd, doch ich fühlte mich auch seltsam mächtig. Mit jedem Schlag drang mir der Blutgeruch in die Nase und verschärfte meine animalischen Instinkte. Nur am Rande nahm ich wahr, dass ich tief aus der Kehle so etwas wie ein leises Knurren ertönen ließ. Und dann bewegte sich Krake nicht mehr. Ich holte tief Luft, dann war alles vorbei.
    Ich kniete mich nieder und machte mich daran, den Luchs aus dem Netz herauszulösen. Elizabeth half mir und gemeinsam legten wir Krakes schlaffen Körper der Länge nach auf den Boden beim Ruder.
    Ich nahm das Messer und schlitzte ihn vom Hals bis zum Bauch auf. Warme Eingeweide quollen heraus und mit ihnen ein durchdringender Gestank. Henry drehte sich weg, und ich hörte, wie er sich elendiglich übergab. Ich schaute Elizabeth an und sah sie ruhig dastehen.
    Zwischen all dem Blut war es zunächst schwierig, die Organe zu erkennen.
    »Hier ist die Speiseröhre«, sagte Elizabeth und folgte furchtlos mit dem Finger einem Schlauch, der zu einem Beutel führte, wobei sie Muskeln und fleischige Teile beiseiteschob. »Und das muss der Magen sein.«
    Ich machte einen Schnitt, wir steckten beide unsere Hände in die heißen Innereien des Luchses und befingerten den Inhalt seines Magens.
    Wieder sah ich sie an. In ihrem Gesicht war kein Ekel zu sehen. Es war voller Leben, aufgeregt sogar.
    »Ich hab es!«, sagte sie keuchend. »Ich glaub, ich hab es!«
    Und dann zog sie aus dem blutigen Durcheinander ein Fläschchen hervor – immer noch verstöpselt, immer noch unversehrt.
    Tränen der Erleichterung und der Freude liefen ihr aus den Augen und wir umarmten uns. Ich wünschte mir so, dass ihre Arme mich nie wieder freigäben, wie blutig sie auch waren.
    Doch diesmal war ich derjenige, der sich zuerst löste, denn im Kopf hörte ich das Ticken einer großen Uhr – oder vielleicht das Schlagen eines großen Herzens. Wir hatten Zeit verloren.
    »Wir müssen zu Konrad!«, sagte ich.
    Krakes Überreste warfen wir über die Reling in den See, verstauten das Netz schnell in der Kajüte und richteten die Segel. Dann liefen wir wieder vor dem Wind, und es dauerte nicht lange, bis ich die Umrisse unseres Schlosses erkennen konnte und das blasse Flackern von Kerzenlicht in Konrads Zimmer, wo entweder Mutter oder Maria neben seinem Bett über ihn wachten.
    Wir
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