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Dürre Beweise

Dürre Beweise

Titel: Dürre Beweise
Autoren: Manfred Rebhandl
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OCKIN’ R ONNIES T EXAS T ABLEDANCE , wie draufstand.
    Dann war da noch Krixikraxi draufgemalt, ein fettes Gesicht oben in der Ecke der Karte, dort, wo die rotzfrechen Kinder auf einem Zettel normalerweise immer die Sonne hinzeichnen, ein fettes hässliches Gesicht, das irgendwie dreckig lachte und mir die Zunge herausstreckte, als wäre ich der fette Mongo und nicht er, und dort stand dann in Groß:
    M UMMY TOLD ME TO …
    Die Tür war offen, ich ging hinein. Drinnen atmete ich den Gestank vieler vergangener Jahre, nichts ist trauriger, als eine schwarz angemalte Nacktbar bei Neonlicht am Vormittag eines Heiligen Abends, voll mit kaltem Rauch. Insgeheim hoffte ich, dass Ku irgendwo weiter hinten schon fleißig am Putzen war, aber ich fand ihn nirgends.
    Ich ging hinter die Bar, dorthin, wo „Schlüssel für die Toilette an der Bar erfragen!“ stand, den nahm ich mir vom Brett, ging damit aufs Klo und pisste bei der Gelegenheit einen schönen Strahl in die Muschel, die nun zu 70 Prozent mir gehörte.
    Ich tropfte ab, ging hinaus und latschte dann die Treppe hinauf, die vom Stiegenhaus nach oben in den ersten Stock führte, dort war eine Tür, und hinter dieser Tür hörte ich leise Musik, mein geschultes Ohr warnte mich: Ballettmusik.
    Ich trat ein und sah einen verdammten Schweinestall ganz in Rosa gehalten, so eine Art Gesindewohnung, die noch zur Bar dazugehören musste und einen noch trauriger machte als die Bar selbst.
    Die Wohnung war nicht groß, überall lag rosa Tüll herum, und Bilder von Ronnies Mutter hingen an der Wand, aus der Zeit, bevor er ihr Leben zerstört hatte.
    Ku fand ich schließlich auf der Couch sitzend, passend zu seinem Berufsstand, er trug eine viel zu große rosarote Strumpfhose, die er sich wohl von Ronnie ausgeborgt hatte, ein Tutu um die Hüften, und seine Visage war weiß geschminkt. Er saß breitbeinig da, kratzte sich am Sack und rauchte, dabei wirkte er, als stünde er ganz schön neben seinen Ballettschuhen. Dann nahm er einen Schluck von der schottischen Brühe, die er mit sich herumschleppte wie seine schwarze Wand, und sagte ganz ruhig: „Der Typ war total regressiv, total. Und irgendwie hat er auch überkompensiert, wie du siehst.“
    Ich schaute ihn an in seiner lächerlichen Aufmachung und dachte an die vielen Tage, die ich sinnlos im Freien verbracht hatte anstatt zuhause im Bett, seit er mich zu diesem Freak Ronnie hierher in die Bar geschleppt hatte. Ich setzte mich zu ihm und fragte: „Wie lange bist denn eigentlich du selbst gestillt worden, ha?“
    Er redete erst gar nicht um den heißen Brei herum und sagte: „Ziemlich lange eigentlich, ziemlich lange. Und weißt du was? Es hat richtig lecker geschmeckt.“
    Und ich dachte: Wie man sich in einem Menschen so täuschen konnte!
    Mir kamen die Tränen, und dann sah ich schreckliche Bilder, wie er an den Milchdrüsen seiner Alten hing und gar nicht mehr aufhören wollte zu saugen, und ich sagte: „Du verdammtes Muttersöhnchen bist also am allerlängs-ten von uns allen gestillt worden?“
    „Bis 15.“
    Und dann kam mir ein furchtbarer Gedanke: „Wohnst du vielleicht sogar noch bei deiner Alten?“
    Er wirkte gar nicht, als würde er sich schämen, als er „Ja“ sagte. Ich fragte: „Und wollte sie vielleicht sogar, dass du auch Ballett tanzt?“
    Herrje, die Frage war eigentlich als Witz gedacht, um mich ein bisschen aus dem tiefen schwarzen Loch zu holen, in das ich zu fallen drohte. Freunde in Ballettfummel machten mich einfach depressiv, also hoffte ich, dass er endlich anfangen würde zu lachen, ich hoffte und wartete noch ein bisschen, aber er fing nicht an. Er saß einfach nur da und machte einen auf Durchhänger, der Saft sei ihm ausgegangen, dazu das Scheiß-Wetter und die schlecht geräumten Straßen, die einem das Fortkommen so schwer machten, das Gelbe und Braune von den Hunden im weißen Schnee, das Grau der Luft …
    „Und dann noch der ganze Scheiß, den ich mir von diesen frigiden Weibern um die 40 anhören muss, wääääh!“
    Das alles hatte ihm eine schwere Keule auf die schmalen Schultern gelegt, die immer noch stärker draufdrückte, je mehr an Terminen er sich auflud und je weiter er sich Richtung Weihnachten schleppte.
    „Ich hab ja auch Vorträge gehalten und bin im Vorstand der Gesprächszentrierten Therapeuten“, sagte er, als würde das sein Versagen erklären. „Rock, ich hab ein totales Burn-Out.“
    Das sagte mir nichts, aber ich kannte da dieses eine Lied aus meinem
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