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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord
Autoren: Katharina Peters
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für Sentimentalitäten, schalt er sich lautlos und folgte der Hausherrin in die Küche.
    Seit er die sechzig überschritten hatte, wurde er häufiger sentimental, als ihm lieb war. Dabei hatte er angenommen, dass im sechsten Lebensjahrzehnt die Weisheit des Alters dieRegie übernehmen würde, zumindest, wenn es um berufliche Belange ging. Anna war vor zwölf Jahren gegangen, weil ihr alles zu eintönig geworden war: das Leben auf der Insel, die Ehe, der beschauliche Alltag, in dem zwei prächtige Kinder groß geworden waren und der sie verlässlich wie die See im Wechsel vor große und kleine Aufgaben gestellt hatte, die sie ganz passabel gemeistert hatten, wie er fand. Kasper verstand es immer noch nicht. Der lodernde Schmerz gehörte der Vergangenheit an, natürlich, aber die Wunde würde nie ganz verheilen. Und er vermisste sie immer noch.
    »Nehmen Sie Platz«, sagte Anna Corhardt und wandte sich zum Herd um, auf dem ein Eintopf köchelte – Schmorkohl mit Speck und Knackwürsten, wenn Kasper nicht alles täuschte. Eines seiner Leibgerichte. Die Musik war plötzlich nur noch gedämpft zu hören, als sei die Lautstärke herabgedreht oder eine Tür geschlossen worden.
    An dem kleinen Esstisch hatten vier Leute Platz, auch wenn es dann eng wurde – im Moment lagen zwei Sets mit Segelschiff-Motiven bereit, wie sie in der Regel von Urlaubern gekauft wurden. Eine tiefhängende Lampe verströmte warmes Licht.
    Anna Corhardt drehte sich um, blieb aber stehen. »Stellen Sie Ihre Fragen«, sagte sie und blickte Kasper an. Plötzlich flog ein Lächeln über ihr Gesicht. »Falls ich ein Alibi benötigen sollte – ich hatte gestern Spätdienst. Den letzten Patienten habe ich gegen acht verabschiedet. Eine Viertelstunde später war ich zu Hause, vielleicht auch zwanzig Minuten. Eine Stunde darauf bin ich vor dem Fernseher eingeschlafen, wie häufig nach langen anstrengenden Arbeitstagen.«
    »Geht mir oft ganz genauso.« Kasper erwiderte das Lächeln, dann sah er auf die beiden Tischsets. »Und Ihr Sohn, wo war der?«
    Sie zuckte zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr Blick wanderte zum Fenster und wieder zurück zuKasper. »Hätte ich es mir doch denken können«, meinte sie leise und schüttelte den Kopf. »Wer hat Sie zu mir geschickt?«
    Kasper war verblüfft.
    »Nun sagen Sie schon!«
    »Ich verstehe Ihre Reaktion nicht«, erwiderte Kasper irritiert. »Wir wissen nur, dass Sie …«
    Anna Corhardt wandte sich abrupt zur Tür um und stieß sie auf. »David? Kommst du bitte mal?«
    Keine Antwort.
    »David!«
    Schließlich war das zaghafte Geräusch leiser Schritte zu hören. Ein Junge trat ein: groß, kräftig, dunkles Haar, ungefähr zwölf-, dreizehn Jahre alt, vielleicht auch schon vierzehn. Ein Kind mit Down-Syndrom.
    »Hallo, ich bin David«, sagte er mit deutlich nuschelnder Stimme und streckte die Hand aus. Er lächelte nicht und war sehr blass.
    Kasper ergriff sie. »Mein Name ist Kasper Schneider, ich bin Polizeibeamter.«
    »Ohne Uniform«, stellte der Junge fest und wandte den Blick kurz zu Schäfer. »Er hat aber eine.«
    »So ist es.«
    Ein ungewöhnlicher Junge, hatte der Hausmeister gesagt, erinnerte Kasper sich an Schäfers Schilderung. Vielleicht war das ein schlichter, neutraler Hinweis gewesen, doch Kasper glaubte nicht daran.
    »David lag schon im Bett, als ich vom Dienst kam«, hob seine Mutter plötzlich an. »Oder hat irgendjemand etwas anderes behauptet?« Die Schärfe in ihrer Stimme war unüberhörbar. Ihr Sohn kniff die Augen zusammen.
    »Nein«, entgegnete Kasper schlicht. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ihn frage, ob er etwas Ungewöhnliches bemerkt hat?«
    »Bitte, fragen Sie. Deswegen sind Sie ja hier, oder?«
    »Weiß er, was …«
    »Ja, so ungefähr.«
    Kasper wandte sich an David, der neben ihm Platz nahm. »Gestern Abend ist unten am Strand ein Verbrechen geschehen.«
    David nickte. »Eine Frau ist tot.«
    »Ja. Ich will herausfinden, wer das war und was genau passiert ist. Darum frage ich alle möglichen Leute, ob sie etwas bemerkt haben.«
    »Und mich auch?« Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich darf doch abends gar nicht mehr an den Strand runter – im Dunklen. Man fällt leicht hin, es ist rutschig, sagt Mama … Aber der Schnee schimmert so schön, und der Wind braust ganz laut.« Er lachte fröhlich.
    »Du magst den Winter?«
    »Ja.« Ein verschmitztes Lächeln. »Aber abends darf ich nicht mehr alleine raus, auch nicht im Sommer. Nicht herumstromern –
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