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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord
Autoren: Katharina Peters
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übrigens zwischen neunzehn und zwanzig Uhr eingrenzen, wobei die Annahme noch nicht hundertprozentig sicher ist. Die Beschaffenheit ihrer Haut im aufgetauten Zustand und die Entwicklung der Todesflecken lassen diese erste Einschätzung aber zu. Alles Weitere braucht noch ein bisschen Zeit.«
    »Ich danke Ihnen erst mal, Doktor.«
    »Keine Ursache. Ich schicke gleich noch eine Mail mit den ersten vorläufigen Ergebnissen nach Bergen.«
    »Sehr schön. Bis die Tage.« Romy unterbrach die Verbindung und wählte anschließend sofort Kaspers Nummer. Der Kollege meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Störe ich?«, fragte sie.
    »Nein. Ich komme gerade aus der Rehaklinik und will noch mal runter zu Buhls Leuten.«
    »Was Besonderes?«
    »Wie man’s nimmt – ein Junge könnte etwas beobachtet haben«, berichtete Kasper. »Die Mutter arbeitet und wohnt in der Klinik beziehungsweise auf dem Klinikgelände, und sie behauptet zwar, dass ihr Sohn zu Hause war, als sie um kurz nach acht vom Dienst kam, aber …«
    »Kurz nach acht klingt interessant. Möller hat mich gerade informiert, dass der Todeszeitpunkt sehr wahrscheinlich zwischen sieben und acht Uhr abends war«, unterbrach Romy ihn.
    »Ist das hundertprozentig?«
    »›Sehr wahrscheinlich‹ würde ich bei Möller mit achtundneunzigprozentig einstufen. Was ist mit diesem Jungen?«
    »Na ja, ich könnte mir vorstellen, dass er doch am Strand war«, meinte Kasper. »Verbotenerweise. Der Hausmeister der Klinik, mit dem ich auch gerade noch gesprochen habe, meinte, der Junge sei häufig unten am Wasser, bei Wind und Wetter. Außerdem sei er ein Träumer und Herumstreuner, worüber seine Mutter alles andere als glücklich ist.«
    »Vielleicht sollten wir ihn noch mal in Bergen befragen.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Warum zögerst du?«
    »Der Junge hat das Down-Syndrom. Seine Aussagen sind so oder so mit Vorsicht zu genießen«, erklärte Kasper. »Zu einer Vernehmung können wir ihn nicht ohne weiteres verdonnern,wenn die Mutter nicht mitspielt – und die versteckt ihren Sohn ganz gern.«
    »Verstehe, aber die Uhrzeit ist natürlich interessant. Wir sollten da auf jeden Fall noch mal nachhaken.«
    »Tun wir. Lass den beiden ein paar Stunden Zeit«, wandte Kasper ein. »Ich könnte mir vorstellen, dass das mehr bringt.«
    »Okay«, schloss Romy sich kurzerhand Kaspers Einschätzung an. »Ich mache mich noch mal auf den Weg zu den Sängers. Wir sehen uns dann später im Kommissariat und tragen die Ergebnisse zusammen.«
    Es begann zu schneien, als sie den Motor startete. Sie hatte während ihrer Polizeiarbeit noch nie mit einem Menschen zu tun gehabt, der mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen war. Aus dem Biologieunterricht erinnerte sie sich noch an die Bezeichnung Trisomie 21, und sie wusste, dass die geistige Entwicklung der Betroffenen eingeschränkt war. Und es gab dieses Schimpfwort: Mongo.

3
    Erst der Junge und nun Monika. Dazwischen lagen viele Jahre, Jahrzehnte, aber das machte es nicht einfacher. Konrad Arnolt wusste nicht, wie lange er bereits aus dem Fenster starrte, ohne etwas wahrzunehmen. Er hörte im Hintergrund Schritte und die leise Stimme des Arztes, der sich um seine Frau kümmerte, nachdem der Schwiegersohn angerufen hatte. Die Geräusche verdichteten sich zu einem entfernten Rauschen, und Konrad war dankbar dafür.
    Zwei Kinder. Beide waren vor den Eltern und im Streit gegangen. Margot würde daran zerbrechen, davon war er überzeugt. Als 1984 der NVA-Feldwebel vor der Tür gestanden hatte, um ihnen mitzuteilen, dass ihr Sohn bei einem Unfall im Hafen Mukran ums Leben gekommen war, hatte Margot das Haus zusammengeschrien.
    Rolf Arnolt war zwanzig Jahre alt gewesen. Konrad erinnerte sich noch sehr genau daran, wie er den Feldwebel angestarrt hatte. »Niemals hätte er zu den Spatis gehen dürfen, unter keinen Umständen«, hatte er geflüstert und dabei seine eigene Stimme kaum wiedererkannt. Der Feldwebel hatte geschwiegen.
    Konrad war von Anfang an dagegen gewesen, und zwar keineswegs, weil er und Rolf grundsätzlich nie einen gemeinsamen Nenner fanden, egal, worum es ging, und schon gar nicht bei politischen Diskussionen. Wer in der DDR den Dienst an der Waffe verweigert hatte, um als Spatensoldat bei großen Bauprojekten eingesetzt zu werden, musste mit Repressalien rechnen – Familie und Freunde ebenfalls. Das wussten alle, aber Rolf war es egal gewesen. »Ich nehme keine Waffe in die Hand«, hatte er immer wieder betont. »DieserStaat zwingt
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