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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord
Autoren: Katharina Peters
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mich nicht dazu. Und du auch nicht. Du schon lange nicht.«
    Konrads Ohrfeige quittierte er mit einem Lächeln, wie nur Zwanzigjährige lächeln konnten, die meinten, ihnen gehöre die Welt und die Zukunft sowieso. Die davon überzeugt waren, sie hätten die Freiheit erfunden, die Liebe ohnehin, und Autoritäten seien dazu da, in Frage gestellt zu werden. An Rolfs Grab hatte Konrad geschworen, nie wieder über die Entscheidung und das Ende seines Sohnes zu sprechen.
    Konrad schrak zusammen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.
    »Sie schläft jetzt«, sagte der Arzt. »Ich habe ihr ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt und schaue später noch mal rein.«
    Konrad nickte.
    »Kann ich etwas für Sie tun?«
    Gib mir meine Kinder wieder. Dreh die Zeit zurück, vielleicht kann ich etwas ändern. Ja, was denn? Was würde ich anders machen, wenn ich die Macht dazu hätte? Etwa das versöhnende Gespräch suchen? Konrad schüttelte den Kopf. Wie banal.
    »Herr Arnolt?«
    Konrad zwinkerte. »Ja.«
    »Sie sollten jetzt nicht alleine bleiben.«
    »Mein Schwiegersohn kommt nachher vorbei.«
    »Nachher?«
    »Gehen Sie, Doktor, bitte. Ich will meine Ruhe haben.«
    Es dauerte noch etliche Minuten, bis der Arzt sich davon überzeugen ließ, dass Konrad auf sich alleine aufpassen konnte, und die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel. Konrad lehnte sich einen Moment erschöpft dagegen. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer. Es war schon einige Zeit her, dass er Monika zum letzten Mal in Greifswald gesehen hatte, an irgendeinem kühlen Sonntagnachmittag, den er nun niemalsvergessen würde. Sie hatte nach Rolf gefragt, nach seinem Tod. Im Nachhinein wirkte das wie ein böses Omen.
    »Es gibt nichts zu reden«, hatte er erwidert. »1984 ist eine Ewigkeit her. Lass uns in Ruhe damit.« Margot war zusammengezuckt, aber Margot zuckte immer zusammen, um dann den Blick zu senken und ihre Finger zu kneten. Wie er das hasste! Seit beinahe sechzig Jahren schrak sie zusammen und senkte den Blick, sobald es kritisch wurde, um dann an ihren Händen herumzuspielen.
    »Ich will wissen, was damals passiert ist, Papa«, hatte Monika beharrt.
    »Er ist ins Hafenbecken gestürzt, in Mukran. Dein Bruder hat den Dienst an der Waffe verweigert und das mit dem Tod bezahlt. Das weißt du, mehr gibt es dazu nicht zu sagen, und mehr will ich dazu auch nicht sagen. Wie kommst du auf einmal auf dieses leidige Thema?«
    »Leidig ist ein gutes, ein passendes Wort und Verschweigen keine Lösung. Hast du je einen Unfallbericht zu lesen bekommen?«, entgegnete Monika, ohne auf seine Frage einzugehen und in einem Ton, der Konrad gar nicht gefiel. »Und weißt du, wie viele junge Männer in Block V der Prora schikaniert und als billige Arbeitskräfte in Mukran missbraucht wurden? Wie viele Unfälle und Suizide es gab? Moderne Sklaverei im sozialistischen Einheitsstaat könnte man das nennen, und dabei habt ihr euch noch damit geschmückt, dass die jungen Männer in der DDR, im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in anderen Bruderstaaten, einen Ersatzdienst leisten durften. Was für eine schreckliche Heuchelei! Und die nimmt kein Ende, wenn man nichts dagegen tut, auch jetzt nicht.«
    Konrad war für einen Augenblick erstarrt, als könnte er nicht glauben, dass seine Tochter so mit ihm sprach, und hatte dann mit der Faust auf den Tisch geschlagen, dass seine Hand noch Tage danach schmerzte.
    »Das ist auch eine Antwort«, hatte Monika gesagt, war aufgestanden und ohne ein weiteres Wort gegangen. Soweit er wusste, hatte sie ihre Mutter noch einige Male besucht, aber Konrad hatte seine Tochter nicht mehr wiedergesehen.
    Lotte Sänger hatte Tee gekocht und goss ihrem Vater und sich selbst eine Tasse ein, nachdem Romy höflich abgelehnt hatte. Sie saßen erneut am Esstisch im Wohnzimmer, und für eine Weile war nur das Geräusch des Löffels zu hören, mit dem Lotte ihren Tee umrührte. Vater und Tochter Sänger schienen gleichermaßen in Gedanken versunken zu sein.
    »Wie ging es Ihrer Frau in letzter Zeit, Herr Sänger?«, hob Romy schließlich an.
    »Wie immer … das heißt, nicht ganz. Sie fühlte sich nicht hundertprozentig fit und war ein wenig angespannt.«
    »Kannten Sie die Ursache?«
    »Ich tippte auf Überarbeitung, und sie bestätigte das vor einigen Tagen und meinte, es sei in der Kita gerade sehr viel los«, antwortete Sänger. Seine Stimme klang kraftlos.
    »Sie haben nicht noch mal nachgehakt, um genauer zu erfahren, was sie beschäftigte?«
    »Nein.
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