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Duenenmord

Duenenmord

Titel: Duenenmord
Autoren: Katharina Peters
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Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, dass gar keine Zeit vergangen war oder aber sehr viel, zu viel. Mit dem nächsten Windstoß und im Schutz des dunklen Mondes setzte er sich in Bewegung und rannte davon, ohne auch nur noch einen einzigen Blick zurückzuwerfen.

1
    Die Schneewolken hingen bedrohlich tief, und der Wind war ein einziges frostiges Versprechen. Kommissarin Ramona Beccare, genannt Romy, war heilfroh, ihren geliebten Motorroller gegen den kleinen, robusten Jeep eingetauscht zu haben, als sie vor einigen Tagen aus dem verlängerten Weihnachtsurlaub aus München zurückgekehrt war. Manche Rüganer behaupteten, es würde wieder einen von diesen späten, aber heftigen Wintern geben, die die Insel alle paar Jahre heimsuchten, um sie dann mit wochenlangen Schneefällen und arktischen Temperaturen in Schach zu halten, bei denen sich Eisschollen und Schneeberge zu futuristisch anmutenden Gebilden am Strand auftürmten. Andere winkten mit der landestypischen Gelassenheit ab. Alles halb so wild. Viel schlimmer war, dass man das kleine Mädchen nicht gefunden hatte, das Weihnachten bei einem Abbruch der Steilküste am Kap Arkona verschüttet worden war, und die Suche nach zwei Wochen eingestellt werden musste.
    Romy war nach Kasper Schneiders Anruf am frühen Morgen mit gemischten Gefühlen von ihrer Wohnung in Binz nach Göhren aufgebrochen, und das lag nicht nur daran, dass am Südstrand eine Leiche gefunden worden war. Die Halbinsel Mönchgut, der Südosten von Rügen mit seiner ursprünglichen Schönheit, den sanften Wiesenhügeln und seinem ganz eigenen Charakter lag ihr besonders am Herzen. In der gotischen Backsteinkirche von Groß Zicker hatten Moritz und sie heiraten wollen. Romy konnte sich schmerzhaft intensiv daran erinnern, wie Moritz sie lachend darauf hingewiesen hatte, dass es sich um eine evangelische Kirche handelte und Romys Eltern katholisch waren – was sonst, mussteman hinzufügen, denn Romys Vater war gebürtiger Neapolitaner und überzeugter Katholik. Er würde selbstverständlich niemals eine evangelische Kirche betreten, auch nicht, um seine Tochter zum Traualtar zu geleiten.
    Dass Romy nach Zwischenstationen in Köln, Schwerin und Rostock als leitende Kommissarin in Bergen auf Rügen gelandet war, statt nach Moritz’ Tod im Sommer vor zwei Jahren in den Schoß der Familie oder zumindest in den Süden des Landes zurückzukehren, würde er wohl nie akzeptieren. Er machte nicht einmal den Versuch, seine Tochter zu verstehen, sondern spielte ständig den beleidigten Patriarchen; das hatte sich in den letzten Wochen wieder in aller Deutlichkeit gezeigt, während Romys Mutter stets händeringend nach einer Möglichkeit suchte, den Familienfrieden wenigstens über die Feiertage aufrechtzuerhalten. Manchmal wusste Romy nicht, was sie mehr nervte: die jähzornige Selbstherrlichkeit ihres Vaters oder die wehleidige Heuchelei ihrer Mutter.
    Ihr könnt mich alle mal, dachte sie schließlich, während sie behutsam abbremste und kurz vor der Reha-Klinik am Südstrand hinter Kasper Schneiders Wagen und mehreren Polizeifahrzeugen anhielt. Diese ganze Familensoße geht mir dermaßen auf die Nerven; nächstes Jahr bleibe ich hier, und ihr dürft euch unterm Weihnachtsbaum dafür gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, während ich mich von Kasper bekochen lasse oder in Middelhagen Heringe essen gehe! Damit schob sie das unerfreuliche Thema beiseite und öffnete die Wagentür.
    Ein eisiger Windstoß fegte über ihr Gesicht, als sie über einen schmalen Dünenpfad, vorbei an einer niedrigen, schneebedeckten Fischerhütte, zum Strand hinunterging. Es herrschte mäßiger Wellengang. Schaumkronen aus Schnee und Eis züngelten über den Strand. Kommissar Kasper Schneider kam ihr entgegen.
    Der Kollege war gut über sechzig, auf Rügen geboren und aufgewachsen und ein ebenso erfahrener wie besonnener Ermittler, der schon viel gesehen hatte und es in den Jahren vor seinem Ruhestand, hätte man ihn gefragt, gerne etwas ruhiger angehen lassen würde.
    »Moin.« Er zog sich die Wollmütze tief über die Ohren. »Eine Frau«, erklärte er gewohnt knapp. »Monika Sänger aus Bergen, Mitte fünfzig. Hatte Papiere, Handy und Schlüssel bei sich, ihr Auto steht oben an der Straße. Ist gestern Abend vom Ehemann vermisst gemeldet worden.«
    »Weiß man schon Genaueres über die Todesumstände?«
    »Ja – die waren unerfreulich.«
    »Kein Unfall oder natürlicher Tod?«
    »Nö.« Kasper schüttelte den
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