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Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond
Autoren: Lena Johannson
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der Gartenarbeit. Jo fühlte sich nicht gerade, als sähe sie in einen Spiegel. Ihr Haar war braun, seines blond. Doch die Locken hatte sie auch, wenn sie nicht mühevoll dagegen anföhnte. Und auch ihre Nase war nicht ganz gerade, sondern hatte diesen winzigen Höcker, den sie bei ihm wiederfand.
    »Sie haben beide die gleichen grauen Augen«, meinte Sarah leise. »Es liegt immer etwas Unergründliches darin, etwas sehr Ernsthaftes.«
    Jo spürte, wie die Aufnahmen vor ihr verschwammen. »Es sind die Augen meines Vaters«, sagte sie leise.
    Jörgs Frau war eine feinfühlige, warmherzige Person. Sie schleppte immer mehr Alben heran und erzählte anhand der Bilder so viel von ihrem Mann, wie sie nur konnte. Sie schien genau zu spüren, wann sie Jo ein wenig ablenken oder aufheitern musste, wann sie Fragen nach der Familie und nach ihrer Vergangenheit stellen konnte. Sie redeten miteinander wie alte Freundinnen. Jo erfuhr, dass Jörg lange nicht über seinen Vater gesprochen hatte. Erst kurz vor der Heirat hatte er Sarah die wenigen Fotos gezeigt, die er von ihm hatte, und ihr gestanden, dass er ein Urlauber gewesen war, eine Schande in den Augen der Einheimischen. Später erzählte Sarah noch, wie sie das erste Mal aus einem kleinen Dorf bei Stuttgart auf den Darß in den Urlaub gefahren war. Sie war damals ein kleines Mädchen, die Wiedervereinigung hatte gerade stattgefunden, und sie reiste mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern.
    »Sie haben drei Geschwister?«
    »Ja, bei uns war immer etwas los«, erwiderte Sarah und lachte. »Ich könnte mir nicht vorstellen, als Einzelkind aufzuwachsen.« Sie strich erneut über ihren Bauch. »Jörg und ich sind uns einig, dass sie oder er auch nicht allein bleibt.«
    »Hat er noch Geschwister? Außer mir, meine ich.«
    »Nein. Seine Mutter starb bald nach seiner Geburt.«
    »Ja, ich weiß. Dann war er ihr erstes Kind.«
    »Das war er. Soweit ich weiß, war seine Mutter noch sehr jung und hat seinen … Ihren Vater sehr geliebt. Er war wohl ihre erste große Liebe.«
    Jo vermutete, Sarah hätte gern ihre Meinung zu dem feinen Herrn aus Hamburg gesagt, der auf dem Darß ein Mädchen schwängerte und wieder verschwand. Doch sie war taktvoll genug, sich nicht zu äußern.
    »Wusste er eigentlich, dass mein Vater in Hamburg verheiratet war und eine Tochter hat?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Das heißt, von Ihrer Mutter wusste er, da bin ich ziemlich sicher. Aber von Ihnen …« Ihre Augen bekamen einen hilflosen Ausdruck.
    »Das ist interessant. Ich habe gehört, dass mein Vater von mir erzählt hat, aber nicht von meiner Mutter.«
    »Dazu kann ich leider nichts sagen. Das müssen Sie Jörg dann selbst fragen, wenn Sie ihn treffen. Ich nehme doch an, dass Sie noch einmal wiederkommen?«, fragte Sarah.
    »Ja, das steht fest.«
    Eine Weile saßen sie schweigend beieinander und tranken Kirschsaft. Dann fiel Sarah ein, dass sie dabei gewesen war, von ihren Urlauben auf dem Darß zu erzählen. Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Jörg. Sarah war ein Teenager und durfte allein in die Disco. Dort lungerten natürlich die Darßer Jungs herum.
    »Die meisten waren keine Spur besser, als diejenigen, die vom Festland kamen und auf einen Urlaubsflirt aus waren«, verriet sie und zwinkerte Jo verschwörerisch zu. »Aber sagen Sie das mal laut! Dann sind sich die Inselbewohner einig, dass Sie eine verlogene Festland-Pflanze sind.« Sie lächelte herzlich.»Jörg war glücklicherweise anders. Er hat es von vornherein ernst mit mir gemeint. Nach einem tränenreichen Abschied hatten meine Eltern keine Wahl, sie mussten mit mir auch die nächsten Sommerferien in Prerow verbringen, wo wir damals immer wohnten. Irgendwann haben sie mich dann alleine fahren lassen. Der Darß hing ihnen mittlerweile zum Hals heraus.« Sie lachte wieder ihr fröhliches Lachen. »Nein, im Ernst, sie mochten Jörg und vertrauten ihm und mir. Sie sehen ja, was dabei herausgekommen ist oder besser gesagt: bald herauskommt!«
    »Ist Ihnen hier nie die Decke auf den Kopf gefallen? Im Winter vor allem. Haben Sie die Stadt nicht vermisst?«, fragte Jo.
    Sarah schüttelte den Kopf, dass ihr Zopf nur so flog. »Nicht eine Sekunde. Ich komme ja auch gar nicht aus Stuttgart direkt, sondern aus einem kleinen Dorf in der Nähe. Wirklich, es war die beste Entscheidung meines Lebens, für immer herzuziehen. Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen. Die Luft und die Landschaft! Besonders im Winter, wenn kaum
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