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Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond
Autoren: Lena Johannson
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Chance, ihn eingehendzu betrachten. Sie musste sich eingestehen, dass ihr erster Eindruck nicht stimmte. Die Shorts waren ausgefranst, das Shirt ausgeblichen, und die Naht auf seiner linken Schulter löste sich. Das blonde Haar war dick wie Wolle und störrisch. Die Sonne hatte es in ungleichmäßigen Flecken aufgehellt. Er benutzte kein Gel, und auch sonst deutete nichts daraufhin, dass er sich viel aus seinem Äußeren machte. Wie es aussah, war er keineswegs der Schönling, für den sie ihn zunächst gehalten hatte. Er hatte einfach Glück mit seinen Genen, zumindest was das Aussehen betraf.
    Er reichte ihr die Tüte und sah ihr in die Augen. Jo fühlte sich ertappt. Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass sie ihn so interessiert beobachtet hatte.
    »Guten Appetit!«, sagte er und steckte das Geld in eine kleine mit Muscheln verzierte Blechbüchse. Er ließ sie nicht aus den Augen, während sie an der ersten Eiskugel leckte. »Und?«
    »Hm«, machte sie, »das ist gut.« Sie schleckte noch einmal. »Das ist richtig gut!«
    »Sag ich doch.«
    »Warum eröffnen Sie keine hübsche kleine Eisdiele? Die Leute würden Ihnen die Bude einrennen.«
    »Eisdielen gibt es doch schon an jeder Ecke. Da habe ich eine viel bessere Idee.«
    »Die wäre?«
    »Ein Franchise-Unternehmen.«
    »Bitte?« Jo traute ihren Ohren nicht. Vor ihr stand ein erwachsener Mann mit einem jämmerlichen alten Karren, den man nur mühsam durch den weichen Sand rollen konnte, und er sprach von einem Franchise-Unternehmen.
    »Eis am Strand«, verkündete er unbekümmert. »Verstehen Sie? Nicht Eis am Stiel, sondern eben …«
    »Eis am Strand«, beendete sie in einem Ton, der verriet, wie wenig begeistert sie war. »Nicht gerade originell.«
    »Wieso? Ist doch nicht schlecht.«
    »Ja, aber nicht schlecht reicht nicht, wenn man Erfolg haben will. Sie müssen einzigartig sein. Der USP ist wichtig.«
    »Der was?«
    »USP, unique selling proposition, das Alleinstellungsmerkmal.«
    Er lachte auf. »Du lieber Himmel!«
    Jo ließ sich nicht beirren. Sie war in ihrem Element. »Im Ernst, das ist wichtig!« Sie leckte eilig das sahnige Eis, bevor es schmelzen und an der Waffel hinunterlaufen konnte. Zwischendurch überlegte sie laut, die Füße noch immer von den seichten Wellen der Ostsee umspült: »Sie brauchen Werbung. Woher sollen die Urlauber wissen, dass Ihr Produkt hausgemacht und besser ist als die Konkurrenzprodukte?« Sie legte den Kopf schief. »Sie brauchen ein großes Plakat. Nein, Sie müssen den Darß mit Plakaten pflastern. Und ein Corporate Design brauchen sie auch. Dringend!« Sie sah missbilligend auf den alten Holzkarren, der, wie es aussah, per Hand gestrichen und beschriftet worden war.
    »Keine Ahnung, was Sie für schräge Ideen haben. Ich habe jedenfalls schon ziemlich genaue Vorstellungen. Und vor allem lasse ich es langsam angehen. Ganz entspannt.«
    Jo holte Luft, um ihm zu widersprechen, dann fiel ihr etwas ein. »Wie spät ist es?«
    »Gleich halb fünf.« Er sah sie ein wenig verständnislos an.»Ich dachte, Sie sind im Urlaub hier. Oder haben Sie noch Termine?«
    »Mist, schon so spät. Doch, klar bin ich im Urlaub. Und wie! Darum habe ich ja einen Termin um fünf Uhr für eine Lomi-Lomi-Massage. Besser kann man sich nicht entspannen. Aber ich muss vorher unbedingt noch duschen. Da muss ich mich jetzt beeilen.« Sie knabberte an der Waffel, keine Massenware, sondern ebenfalls frisch und hausgemacht. »Ihre Idee hat Potential«, rief sie, während sie sich schon auf den Weg zu ihrem Handtuch machte. »Aber Sie müssen es richtig anpacken. Sind Sie jeden Tag hier?«
    »So ziemlich.«
    »Okay, dann sprechen wir später weiter. Ich muss wirklich los.« Sie sah seinen verblüfften Gesichtsausdruck. »Keine Sorge, ich weiß, wie man so etwas anfängt. Das ist mein Job.« Sie stopfte sich den Rest der Waffel in den Mund und drehte sich um.
    »Danke«, hörte sie ihn noch sagen. Den Rest verstand sie nicht, denn mit jedem Schritt knirschte der Sand unter ihren Füßen, die Waffel zwischen ihren Zähnen, und eine Möwe ließ einen schrillen Ruf erklingen.
    Josefine lief den Strandübergang acht hinauf, der sie geradewegs zu ihrem Hotel führte, einem lachsfarbenen Haus mit Rohrdach, das nur durch die Dorfstraße und eine Düne von dem breiten Strand getrennt war. Sie konnte von ihrem Zimmer aus durch ein halbrundes Fenster direkt auf eben diesen Strand schauen, auf den endlos scheinenden Sand, die rechtwinklig zum Uferlauf in die Ostsee
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