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Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond
Autoren: Lena Johannson
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kleine Schönwetterwolken über den blauen Himmel jagte. Jo kaufte sich auf dem Weg zum Strand einen Skizzenblock und einige Bleistifte unterschiedlicher Härte. Als Kind hatte sie gern mit Wasserfarben gemalt und eine Zeit sogar vorgehabt, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Doch seine Malerei war schließlich schuld daran, dass mindestens einmal im Jahr der Familienfrieden gestört war. Deshalb hatte sie mit vierzehn Malblock und Tuschkasten in eine Schublade verbannt und nicht mehr hervorgeholt. Wenn sie ehrlich war, hatte sie das Zeichnen immer vermisst. Und so hatte es sich zumindest einen kleinen Weg zurück in ihr Leben gebahnt. Während der kreativen Sitzungen in der Werbeagentur, in der sie nun schon seit fünf Jahren angestellt war, kritzelte sie ganze Notizblöcke und manchmal sogar ihre Arbeitsunterlagen voll. Sie zeichnete, was ihr zu einem Produkt in den Sinn kam, bannte ihre Kollegen in wenigen treffenden Strichen auf Papier, wie sie mit nachdenklich in Falten gelegter Stirn um den achteckigen Konferenztischsaßen, oder setzte zeichnerisch die Slogans um, die aus den Kreativen nur so sprudelten. Im Laufe der Zeit hatte sie einen eigenen Stil entwickelt und zeichnete fast nur noch Karikaturen, die im Kollegenkreis heiß begehrt waren. Kein Geburtstag verging, kein Betriebsfest, zu dem sie nicht gebeten wurde, eine Einladung oder einen Glückwunsch zu gestalten.
    Josefine begrüßte den Strandkorbvermieter mit dem dunklen Haarkranz, der sie an die Tonsur eines Mönchs erinnerte. Er hatte ein freundliches Gesicht mit fröhlichen runden Augen. Sie war sicher, dass er ein gutes erstes Motiv abgeben würde. Doch als sie endlich soweit war, dass es losgehen konnte, drängten sich andere Motive förmlich vor. Eine rundliche Frau, die ihren Sonnenschirm immer wieder neu ausrichten musste, weil der von den Böen auf die Seite gelegt oder gar komplett aus dem Sand gehoben wurde. Ein hagerer Mann, der sich bei den Strandkorbnachbarn entschuldigen musste, weil das mit bunten Papageien bedruckte Hüfttuch seiner Frau zu ihnen hinüber gesegelt war und sich ausgerechnet über das Gesicht des bis dahin schlafenden Mannes gelegt hatte. Und auch die Kinder gaben herrliche Vorlagen ab, die ihre Handtücher ausschüttelten, ohne auf die Windrichtung zu achten, und damit einen kleinen Sandsturm auf ihre Eltern auslösten, oder die den Rücken der Mutter mit viel zu viel Sonnencreme einschmierten.
    Mit wachsender Freude füllte Jo Blatt um Blatt. Erst der Klang eines Glöckchens am Nachmittag riss sie aus ihrer Konzentration. Sie sah auf und erkannte in der Ferne den Eismann mit seinem Wagen. Sie schob Skizzenblock und Stifte in die Tasche, löste die Beine aus dem Schneidersitz und dehnte sich ausgiebig. Wenn sie so weitermachte, würde sie sich nochdie eine oder andere Massage gönnen müssen. Der Wind fuhr ihr durch das kurze Haar und brachte salzige Luft mit. Sie schloss kurz die Augen und dachte an die Verabredung, die sie mit dem Eismann hatte. Ein Kribbeln im Bauch signalisierte Aufregung. Oder war das nur das Knurren ihres Magens? Immerhin hatte sie außer etwas Obstsalat am Morgen noch nichts gegessen. Ein Eis wäre nicht schlecht, dachte sie, wusste aber nicht, ob sie nicht lieber desinteressiert auf ihrem Handtuch sitzen bleiben sollte. Sie konnte ihm ja von weitem zuwinken, so, als hätte sie ihn erst im letzten Moment gesehen. Sie könnte sich auch schlafend stellen, aber womöglich hatte er sie schon entdeckt und wusste, dass sie wach war.
    Unsinn, tadelte sie sich selbst in Gedanken. Du holst dir jetzt ein Eis und benimmst dich nicht wie ein peinlicher Teenager. Sie griff nach ein paar Münzen und ging ihm entgegen.
    »Moin«, rief er an seinen anderen Kunden vorbei, die bereits wieder eine kleine Schlange bildeten.
    »Moin«, rief Jo zurück und wartete, bis sie an der Reihe war.
    »Na, Schock von gestern verdaut?«, fragte er mit unübersehbarer Schadenfreude.
    »Ziemlich. Und selbst?«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich meinen Job im Hotel nach dieser unheimlichen Begegnung weiter ausüben kann.« Er grinste. »Heute gibt es Himbeer und Erdbeer-Joghurt.«
    »Von jeder Sorte eine, bitte.«
    »Es war übrigens ein Zahlendreher, der uns in diese lustige Situation gebracht hat. Die Dusche in Zimmer einundzwanzig war kaputt, und …«
    »Und zwölf stand auf dem Zettel. Großartig.« Sie machte dennächsten Kunden Platz, einer Mutter mit zwei blonden Mädchen mit Zöpfen, blieb aber noch ein wenig neben dem
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