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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab
Autoren: Sven Koch
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dort weiter. Der Biker vor ihm gewann an Fahrt. Dann verlangsamte er das Tempo etwas, um in eine Seitenstraße abzubiegen.
    Fehler, dachte Tjark, nutzte den Moment, bremste ab und schlitterte auf glatten Ledersohlen über den Asphalt. Als er zum Stehen kam, riss er die Dienstwaffe hoch und nahm das Motorrad in der Zielhilfe wahr. Die Chance war nicht groß, aber sie war da. Die Walther zuckte einige Male in Tjarks Hand. Mit lautem Bellen spie sie Kugeln in Richtung des Coyoten, von denen zwei in den Vergaser einschlugen, die dritte den Hinterreifen zum Explodieren brachte und eine vierte den Lederstiefel des Bikers durchbohrte. Das Motorrad machte einen Satz und warf seinen Fahrer wie ein bockendes Pferd kopfüber ab. Sofort sprintete Tjark los und war nach wenigen Augenblicken da, um dem am Boden liegenden Mann mit voller Wucht gegen das Handgelenk zu treten, worauf dessen Revolver in hohem Bogen in den Rinnstein flog. Der Coyote keuchte. Seine Augen waren nur halb geöffnet.
    »Scheißtyp«, fauchte Tjark, packte den Kerl mit beiden Händen an den Aufschlägen der Lederjacke und zog ihn wie eine leblose Puppe zu sich heran. Tjarks Kopf schnellte nach vorne. Seine Stirn traf die Nase des Bikers. Es klang, als zerbräche man trockene Äste. Tjark ließ mit der Rechten das Revers los und holte aus. Bevor er zuschlagen konnte, griff ihm jemand von hinten in das Ellbogengelenk, um den Schwinger zu stoppen.
    »Hör auf!«, rief Fred außer Atem und riss Tjark zurück, der den Biker nun vollends losließ und wieder aufstand. »Bist du bescheuert?« Fred stieß Tjark vor die Brust. Er taumelte einen Schritt zurück und hielt die Hände in einer abwehrenden Geste hoch. »Was soll die Scheiße! Krieg dich in den Griff!«
    »Schon gut«, sagte Tjark.
    Fred schubste Tjark noch einmal. »Willst du noch ein Verfahren an den Hals bekommen, du Idiot?«
    »Okay, hab ich gesagt, alles ist okay, komm wieder runter.« Tjark trat beiseite, als einige Polizisten angelaufen kamen, um den Coyoten einzusammeln.
    »Hey«, hörte Tjark die Stimme von Ceylan. »Alles klar?« Tjark nickte angestrengt. Er steckte die Pistole zurück. Ceylan gab ihm einen Knuff an den Oberarm. »Du hast was gut bei mir, Cowboy«, sagte sie.
    »Ich komme darauf zurück.«

4
    Femke blinzelte trotz ihrer Sonnenbrille. Die grelle Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe des Dienstwagens, als Fokko Broer mit zwei Gläsern Eistee auf die Veranda kam und ihr eines reichte. Sie dankte ihm, setzte das Glas an und trank es in einem Zug halb leer.
    »Wirklich schön hast du es hier«, sagte sie und leckte sich einen Tropfen von den Lippen. Die weißen Fensterrahmen des Hauses wurden von leuchtenden grünen Läden eingefasst. An den rostroten Klinkern krochen Rosenbüsche bis an die Spitzen des Reetdachs. Es roch nach frisch gemähtem Gras. Eine Bank stand neben der Eingangstür, auf der sich Fokkos Katze räkelte. Die mit hellem Kies bestreute Zufahrt wurde von Apfelbäumen gesäumt, deren Kronen der Seewind geformt und verbogen hatte. Auf der anderen Seite der Bundesstraße ließ eine Brise die Sanddorn- und Hagebuttenbüsche rascheln, die den Uferstreifen befestigten. Dahinter waren in der Ferne die Silhouetten einiger Windräder zu erkennen. Femkes Häuschen, das sie von ihrer Oma geerbt hatte, war dem von Fokko nicht unähnlich. Die Windräder konnte man von dort aus nicht sehen, aus dem Dachfenster aber bei klarer Sicht Ozeanriesen am Horizont, die von Bremerhaven her oder aus der Elbmündung kamen.
    Fokko trug khakifarbene Shorts und ein Polohemd, was ihn deutlich jünger als fünfundsechzig Jahre aussehen ließ. Die Hände waren feingliedrig und gepflegt. Die Hände eines Arztes, dachte Femke. Der Wind spielte in seinem weißen Haar. Seine Augen hatten dunkle Ränder. Er sah besorgt aus und schwieg. Eben hatte er Femke erzählt, was gestern Nacht geschehen war. Sie hatte ihm danach die Personenbeschreibung von Vikki Rickmers vorgelesen, und Fokko hatte geantwortet, es könne gut sein, dass diese Frau ihn um Hilfe gebeten habe und dann verschwunden war. Er sah besorgt aus, bekümmert. Sein Blick war unstet. »Ich wollte der Frau doch helfen«, sagte er. »Aber ich konnte ja nichts mehr tun.«
    »Du hast etwas von glühenden Augen erzählt …«
    Fokko lachte unsicher. »Ich stand unter Schock. Das waren sicher keine Augen.«
    »Nein.« Femke stellte das Glas Eistee auf der Bank ab und stemmte die Hände in die Hüften. Sie betrachtete den Kies in der Auffahrt.
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