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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab
Autoren: Sven Koch
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Polizisten ab wie ein Tropfen Wasser vom Blatt einer Lotusblüte. Aber es war ein schlechter Tag für Blüten gewesen, und Lang hatte Tjarks Mutter übel beschimpft. Großer Fehler. Tjark hatte sich umgedreht, Lang eine reingehauen und sich danach entschieden besser gefühlt.
    Die Sache mit Michael Becker und seiner Frau war vor etwa vierzehn Tagen geschehen. Das Ehepaar hatte mit jungen Drogensüchtigen Snuff-Videos für Fetischisten produziert, die auf Beinahe-Ertrinken abfuhren. Die Beckers hatten sich massiv der Verhaftung widersetzt – und irgendetwas hatte bei Tjark ausgesetzt, als er die gläsernen Wassertanks, Ketten und Wannen gesehen hatte, die die Kulisse für die Streifen bildeten.
    Schröder schwieg eine Zeitlang und faltete die Hände, indem er die Fingerspitzen aneinanderlegte. Schließlich fragte er: »Fühlen Sie sich öfter als Opfer und haben das Gefühl, manchmal dazwischenhauen zu müssen, um wieder Oberwasser zu gewinnen?«
    Tjark setzte sich etwas nach vorn und stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab. »Sie wissen, was diese Beckers getan haben?«
    »Natürlich. Und auf so etwas reagiert man schon mal emotional als Polizist. Kann ich mir vorstellen.«
    »Das kann passieren.«
    »Man möchte denen sicher mal die Schnauze polieren.«
    »Das Leben ist kein Wunschkonzert.«
    »Andererseits: Da haben Sie doch schon schlimmere Dinge bei Verhaftungen erlebt, oder? Dagegen waren die Sache mit den Beckers und der andere Vorfall doch eher Peanuts?«
    Tjark antwortete nicht. Da war etwas dran.
    »Aber natürlich«, ergänzte Schröder, »stehen Sie unter Druck. Druck sucht sich seinen Weg. Wir sind wie eine Zahnpastatube – man weiß nicht, wo sie aufplatzt, wenn man drauftritt. Man redet über Ihr Buch und Ihre Popularität, über das schnelle Auto, das Sie fahren – und man fragt sich, wie Sie sich das alles auf einmal leisten können. Und Sie fühlen sich sicher manchmal wie in Ihrem BMW , Vollgas gebend, die Handbremse angezogen – und dann irgendwann«, Schröder klatschte in die Hände und pustete über die Innenflächen, »löst sich die Bremse.«
    Tjark verzog das Gesicht. »Mein Auto ist heute perforiert worden und steht in der Garage der Spurensicherung.«
    »Worauf man sicher ebenfalls emotional reagiert.«
    »Ja«, sagte Tjark und lehnte sich wieder zurück. »Vor allem, wenn man beinahe selbst erwischt worden wäre.«
    »Man oder Sie?«
    »Ich – und meine Kollegen ebenfalls.«
    »Mhm. Was macht das mit Ihnen?«
    »Das macht mich extrem sauer. Es gefällt mir nicht, wenn auf mich geschossen wird. Das waren Schüsse aus einer .357er. Ich kann von Glück sagen, dass der Scheißkerl nur die Türen, Fenster und Seitenverkleidungen und nicht den Motorblock getroffen hat.«
    »Nach solchen Erlebnissen und allem, was da noch droht wegen der anhängigen Verfahren – möchten Sie manchmal gerne abtauchen und sich eine Decke über den Kopf ziehen?«
    Nein, dachte Tjark, der Typ für die Decke war er nicht. In der Tat gab es allerdings Momente, in denen er genug hatte. Genug von allem. Momente, in denen er am liebsten auschecken und den Neustartknopf drücken wollte – und weil das nicht ging, tendierte er wahrscheinlich zu Überreaktionen. Das Auschecken war deswegen nicht möglich, weil die Arbeit seinen Motor am Laufen hielt und ihn von all den Dingen ablenkte, die ihm seit der Diagnose im Kopf umherschwirrten. Abgesehen davon wurden die Beckers und Waldemar Langs dieser Welt allenfalls mit Bewährungsstrafen und Geldstrafen abgespeist. Das Verbrechen endete nicht, bloß weil man ein paar Perverse eine Zeitlang aus dem Verkehr zog. Es ging immer wieder von neuem los, und ein paar aufs Maul war das mindeste, das sie verdienten. Die Einstellung war weder politisch noch rechtlich oder moralisch korrekt, aber er war nicht der einzige Polizist, der so dachte. Natürlich gab es einen Unterschied zwischen Denken und Handeln. Genau deswegen hockte Tjark hier rum. Dennoch hatte er keine Lust, Schröder diese Einsichten auf die Nase zu binden.
    Er sagte stattdessen: »Ich habe nicht das Bedürfnis, mich zu verkriechen.«
    Schröder brummte und warf einen Blick auf seine Notizen. »Interessant, dass Sie vor allem über das Auto sprechen und nicht über Ihre Ängste bei dem Schusswechsel.«
    »Das Auto hat es erwischt. Mich nicht.«
    Schröder schrieb etwas auf. »Was kostet so ein Z4?«
    »Mehr als ein Polo.«
    »So gut verdienen Sie aber eigentlich nicht, oder?«
    »Ich lebe sparsam und lege
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