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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab
Autoren: Sven Koch
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unwahrscheinlich, dass hier jemand im Vorbeifahren Rotwein vergossen hatte.
    Femke suchte im Streifenwagen vergeblich nach einer Tüte, in der sie den Schuh verstauen konnte. Schließlich zog sie das Überbrückungskabel aus seiner Plastiktasche – nicht perfekt, aber es sollte reichen. Sie griff nach dem Warndreieck und einem Stück Kreide, mit dem sie für gewöhnlich Unfallspuren auf der Straße markierte. Dann zog sie ihr Handy aus der Hosentasche. Sie betrachtete es einige Augenblicke lang. An sich war sie schon zu weit gegangen. Sie hatte Spuren gesichert und den roten Stofffetzen an sich genommen, was nicht in ihrer Kompetenz lag. Und jetzt noch den Schuh? Femke dachte nach. Wie dem auch sei – sie konnte ihn nicht einfach so da liegen lassen.
    Also machte sie kehrt, ging zum Fahrbahnrand und schoss mit dem Handy einige Fotos, bevor sie den Schuh in der durchsichtigen Tüte aus dem Kofferraum verstaute. Mit der Kreide zeichnete sie einen großen Kreis um die mögliche Blutspur, stellte das Warndreieck in dessen Mitte und machte davon ebenfalls einige Aufnahmen. Schließlich wählte sie die Nummer der Hauptstelle und verlangte in der Zentrale nach dem Kriminalkommissariat 11, das für Gewaltverbrechen und Tötungsdelikte zuständig war, nannte ihren Namen und Dienstgrad und erklärte in groben Zügen, was passiert war und dass sich jemand vor Ort umsehen sollte. Bevor sie in die Details gehen konnte, unterbrach sie der Kollege und erklärte, dass er das zwar aufnehmen würde, im Moment aber niemand kurzfristig abgestellt werden könne. Sie solle in einer anderen Dienststelle nachfragen. Femke entgegnete, dass sie sich hier nicht von Pontius zu Pilatus schicken lasse. Und so kam es, dass Femkes Ersuchen als Personenfahndung missverstanden und an das LKA in Hannover delegiert wurde, wo man nichts damit anzufangen wusste und es schließlich an die Zentrale Kriminalinspektion in Oldenburg statt nach Osnabrück weiterleitete.

5
    Der Polizeipsychologe hieß Dr. Kevin Schröder und sächselte leicht. Er saß Tjark in einem Korbstuhl gegenüber, der gelegentlich knarrte, wenn Schröder seine Position wechselte. Im Moment hatte er ein Bein untergeschlagen und die Hände auf den Sessellehnen ausgestreckt – wohl um Offenheit zu signalisieren. Er musterte Tjark, dem der Geruch nach Zitronengras aus der Duftlampe ziemlich auf die Nerven ging.
    »Wann hat das begonnen«, fragte Schröder, »mit diesen Gewalttätigkeiten?«
    »Gewalttätigkeiten«, wiederholte Tjark und starrte an die weiße Wand.
    Schröder hob beide Hände, nahm seine Lesebrille ab und ließ sie am Bügel rotieren. »Wir reden über Michael Becker, der sich angeblich der Verhaftung widersetzt haben soll – zwei Schläge in den Magen, ein Kopfstoß ins Gesicht. Becker wurde außerdem vor die Wand geschleudert und hat sich dabei eine Rippe gebrochen.«
    »Sagt Becker.«
    »Seine Frau ist ebenfalls geschlagen worden.«
    »Sagt seine Frau.«
    »Ich glaube, so kommen wir nicht weiter.«
    »Vielleicht stellen Sie die falschen Fragen.«
    »Welche sollte ich denn stellen?«
    »Die richtigen.«
    Schröder sah Tjark schweigend an.
    »Für den Anfang«, fügte Tjark hinzu, »würde ich die Provokationen unterlassen. Auf Provokationen reagiere ich meist mit Verschlossenheit. Ich gebe Ihnen gerne die Nummer meiner Ex-Frau. Sie wird das sicher bestätigen.«
    »Womit provoziere ich Sie?«
    »Sie stellen etwas als Tatsache dar, was zwei Verbrecher behaupten.«
    »… die noch nicht verurteilt sind.«
    »Diese Typen wollen meinen Partner Fred und mich reinreißen, nur darum geht es. Rache. Schlimm genug, dass sie auf offene Türen stoßen.« Tjark schnippte mit dem Finger. »Zack, schon werde ich an den Schreibtisch versetzt, weil mein Abteilungsleiter die Beschuldigung von Becker als Steilvorlage aufgreift.«
    »Er mag Sie nicht?«
    »Nein.«
    »Und dieser andere«, Schröder malte zwei Anführungsstriche in die Luft, »Verbrecher vor drei Monaten hat seine Behauptungen ebenfalls erfunden?«
    »Ich gehe davon aus.«
    Der »andere Verbrecher«. Schröder spielte auf Waldemar Lang an. Lang hatte einige Monate lang Frauen mit Schockanrufen terrorisiert und behauptet, er sei Arzt, und die Kinder beziehungsweise Lebensgefährten der Frauen seien gerade nach einem schweren Unfall bei ihm eingeliefert worden. Die entsetzten Reaktionen hatten ihn aufgegeilt. Bei seiner Festnahme hatte Lang Tjark mit Drohungen überschüttet. Meist glitten derartige Beschimpfungen an
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