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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab
Autoren: Sven Koch
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Was gar nicht mal so falsch war.
    »Fred und ich«, sagte Tjark mit einem Schulterzucken, »mussten einfach mal raus.«
    »Ich sage dir was«, erklärte Berndtsen und nickte zu seinen eigenen Worten, »ich sage dir was, Wolf. Wenn ihr zwei euren Hintern nicht auf dem Schreibtischsessel lassen könnt, dann macht euch wenigstens nützlich und nichts kaputt.« Er reichte Tjark einen Zettel.
    Tjark überflog die Zeilen. »Was soll das denn sein?«
    »Eine vermisste Person, Ermittlungsersuchen aus Werlesiel. Fahr mit Fred hin und klär das.«
    Tjark strich sich mit der flachen Hand über den Kinnbart. In einer Vermisstensache am Arsch der Welt ermitteln – genauso gut hätte er Fred und ihn losschicken können, um im Streifendienst Geschwindigkeitskontrollen vorzunehmen.
    Berndtsens Feuermal zuckte, und der Mund daneben setzte ein zufriedenes Lächeln auf. »Wird dir mal ganz guttun, Basisarbeit zu machen und dich daran zu erinnern, dass es nicht nur die Crema auf dem Kaffee, sondern auch den Bodensatz gibt.«
    Tjark blickte in seinen Becher und überlegte, ob Berndtsen wohl früher auf dem Schulhof ständig verprügelt worden war und sich nur deswegen an eine leitende Position in der Nahrungskette vorgearbeitet hatte, um es allen heimzahlen zu können. Dann fragte Tjark: »Werlesiel? Ist das überhaupt unser Zuständigkeitsbereich?«
    »Jetzt schon«, sagte Berndtsen.

6
    Vikki Rickmers glitt von einer in die nächste Schwärze, als sie die Augen öffnete. Ihre erste Reaktion war Panik. War sie blind geworden?
    Die Panik wurde von einem schrecklichen Schmerz, Schwindel und Übelkeit abgelöst. Sie fühlte sich wie nach einer schnellen Karussellfahrt. Alles drehte sich. Ihr Kopf schien in einen Schraubstock eingespannt worden zu sein. Ein Stöhnen kam ihr über die Lippen, das sich zu einem Husten wandelte und ihren ganzen Körper schüttelte. Das war schlecht, denn ihr Schädel schien nun endgültig zu platzen. Sie wollte nach ihrem Kopf fassen, aber das ging nicht. Die Beine ließen sich ebenfalls nicht bewegen. War sie nicht nur blind, sondern auch noch gelähmt? Schließlich kippte Vikki wie ein nasser Sack zur Seite – und wurde von einem heftigen Schlag getroffen, der ihr durch sämtliche Glieder fuhr.
    Minuten, vielleicht Stunden später kam sie wieder zu sich und erbrach sich im Liegen. Nach einer Weile ließen die Krämpfe im Magen nach. Dafür zuckten Arme und Beine, als habe sie Schüttelfrost. Wenigstens, dachte Vikki, deutete das darauf hin, dass sie nicht gelähmt war, denn dann würde sie ihre Extremitäten nicht spüren können. Sie spuckte einen Schwall bittere Galle aus, und im nächsten Moment verstand sie, dass sie doch nicht blind war. Da war ein Licht.
    Sie versuchte, den Kopf etwas zu bewegen, was nur leidlich gelang, denn irgendetwas war um ihren Hals gebunden. War das das Leuchten, von dem einige Menschen nach Nahtoderlebnissen sprachen? War sie in einer Art Vorhölle gelandet? Wie durch einen Schleier sah sie, dass das Licht etwas anstrahlte. Eine Person, deren Gesicht entstellt und wie zerquetscht aussah.
    »Du bist mein«, sagte das Wesen. »Wir zwei werden schrecklich viel Spaß haben. Zumindest für eine Weile.«
    Vikki wollte etwas sagen, brachte aber nur ein Röcheln zustande.
    Das Wesen hob die Hand. »Erspar mir dumme Fragen und Gejammer. Ich will von dir lediglich eine Antwort auf eine einfache Frage.«
    »W-w…« Vikkis Lippen formten wie von selbst Laute. Blutiger Speichel rann ihr am Kinn herab und troff auf den Boden. »W-w …?«
    Das Wesen legte den Kopf schief. Es schien amüsiert zu sein und lachte. »Ich will nur eines wissen«, sagte es dann und wurde wieder ernst. »Liebst du mich?«

7
    Tjark wachte auf und schnappte nach Luft wie ein frisch an Land gezogener Karpfen nach Wasser. Mit tiefen Atemzügen sog er Sauerstoff in die Lungen, strich sich über den klatschnassen Oberkörper und begriff erst nach einigen Augenblicken, dass es nur kalter Schweiß war. Er versuchte, sich zu orientieren, und verstand, dass er in seinem Schlafzimmer war – nicht mehr tief unter Wasser in einem namenlosen Abgrund, in dem sich schwarze Algen wie Tentakel um seine Gliedmaßen geschlossen hatten. Durch den Vorhang schien die Morgensonne und zeichnete Muster auf das Parkett, mit dem das gesamte Loft ausgelegt war.
    Tjark stand auf, wischte sich den Traum aus dem Gesicht und riss Fenster und Vorhänge auf, damit die Sonne die Dunkelheit und die frische Luft den Geruch der Nacht vertreiben
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