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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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nach Tripolis. Gaddafi werde sich diesen Verhandlungen nicht entziehen. Der persönliche Kontakt zu den Führern des Westens sei ihm stets wichtig gewesen.
    Gleichzeitig sollten die arabischen Staaten demonstrativ die Lieferung einer eng begrenzten, symbolischen Zahl von Flugabwehrraketen an die Rebellen vorbereiten, um Gaddafi von Luftangriffen abzuschrecken. Parallel solle die UNO vor Bengasi und Tripolis Flottenverbände aufkreuzen lassen und eine wirksame Drohkulisse aufbauen.
    Morgen will Abdul Latifs Sohn diesen Brief dem Revolutionsführer überbringen. Am Tag danach will Abdul Latif noch einmal zu ihm fahren. Gemeinsam mit mir. Er glaubt fest, dass wir ihn umstimmen können. Diplomatie und Abschreckung seien sinnvoller als Militärschläge der NATO .
    Eine Befreiung Libyens durch die früheren Kolonialmächte hält er für absurd. Die Tunesier und Ägypter hätten ihre Revolutionen auch ohne die NATO geschafft. In Libyen sei bereits zu viel Blut geflossen. Auch die Soldaten Gaddafis seien Libyer. Die wenigsten seien Söldner aus Schwarzafrika, wie der Westen behaupte.
    Abdul Latif beginnt zu erzählen. Wie sehr er den Westen bewundere, den er als Importeur von Arzneimitteln jedes Jahr bereist. Sogar die Italiener, die sein Land jahrzehntelang ausgebeutet hatten, mag er. Auch wenn er gern über ihre Eitelkeiten lacht. »Man muss verzeihen können«, meint er. »Das Leben ist zu kurz, um zu hassen.«
    Dann spricht er über den Tod, den er als sufistisch geprägter Muslim nicht fürchtet. Wie alle Muslime wünsche er sich eine Erdbestattung. Als ich erkläre, dass ich für eine Feuerbestattung sei, schüttelt er lachend den Kopf. Das sei keine gute Idee. Darüber müssten wir noch mal sprechen. Außerdem würde ich noch gebraucht. Ich halte lachend dagegen, er werde viel mehr gebraucht. Von hinten kräht Julia aus Spaß dazwischen, das letzte Hemd habe offenbar viele Taschen. Wie meine Windjacke. Es ist ein ungewöhnlich heiteres Gespräch über den Tod.
    Da wir uns nicht einigen können, wer mehr gebraucht werde, versprechen wir uns feierlich, in jedem Fall vorher noch gemeinsam in Tripolis die Befreiung Libyens zu feiern. Und anschließend ein paar Tage auf meiner Berghütte im Südtiroler Sulden zu verbringen. Um über Gott und die Welt zu diskutieren. Über den Sufismus und seine Philosophie der Freundschaft, Toleranz und Liebe.
    Abdul Latif telefoniert zwischendurch mehrfach mit Freunden in Brega. Doch 30 Kilometer vor Brega, dort, wo die Sandpiste wieder in eine asphaltierte Straße übergeht, bricht der Empfang ab.
    Plötzlich sehen wir, verteilt auf einer Strecke von etwa hundert Metern, sechs ausgebrannte Autos. Ich bitte Abdul Latif anzuhalten. »Why not?«, antwortet er wie üblich. Dann setzt er wegen des kalten Windes seine schwarze Zipfelmütze auf und steigt aus.
    »Tal der Flammen« heiße der Ort hier, murmelt er. Julia beginnt zu filmen. Während wir zu den Autowracks gehen, ziehe ich meine Windjacke an. Die mit den vielen Taschen. Der Wind reißt sie mir fast aus der Hand.
    Die Szenerie ist furchteinflößend. Die meisten der Pkws haben – als sie beschossen wurden – versucht, zu wenden und über die Wüste zu entkommen. Ohne Erfolg. Der unsichtbare Schütze hat sie zu bizarren Gebilden zusammengeschossen. Wahrscheinlich enthielten seine Raketen Phosphor oder Napalm. Die Plastikteile der Wagen sind zusammengeschmolzen oder verbrannt.
    Auf der Straße liegen frische Baguettes, eine unversehrte Schachtel französischen Käses sowie zwei unbeschädigte orangefarbene Ölarbeiterhelme. Sie waren möglicherweise auf dem Dach eines der Autos verstaut und bei der Explosion weggeschleudert worden. Abdul Latif und Yussuf beginnen, die Straße von den zahlreichen Trümmern der Autos zu räumen.
    Der Angriff
    Beim Aussteigen hatte ich noch gedacht, die Fahrzeuge seien am frühen Morgen oder am Vorabend beschossen worden. Doch dann sehe ich unter den Rädern zweier Wagen züngelnde Flammen. Mit Julia gehe ich zu einem dieser Fahrzeuge, um nach den Insassen zu suchen. Doch ich sehe nur Asche. Abdul Latif und Yussuf, die mir gefolgt sind, wenden sich ab. Sie gehen zu unserem Wagen zurück.
    Plötzlich schießt mir durch den Kopf, dass ich möglicherweise vor einem der Autos stehe, das uns vorhin überholt und dessen Insassen uns fröhlich zugewinkt hatten. Dass das bisschen Asche auf den zerschmolzenen Metallsitzen ihre Überreste sind. Dass wir uns auf einem Hinrichtungsplatz befinden, den noch niemand
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