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Du oder der Rest der Welt

Du oder der Rest der Welt

Titel: Du oder der Rest der Welt
Autoren: Simone Elkeles
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»Nur damit wir uns verstehen, ich habe verdammt noch mal vor, zu tun und zu lassen, was ich will, solange ich hier bin.«
    »Tu uns beiden den Gefallen und hör auf mich. Du könntest sogar was dabei lernen.«
    Ich lache kurz auf. Ja, klar. Was will er mir schon beibringen? Mit dem Chemiebaukasten zu experimentieren? Wie man eine Collegebewerbung schreibt? Ich habe weder das eine noch das andere vor.
    Wir schweigen beide, während wir weitere fünfundvierzig Minuten dahinbrausen. Die Berge rücken mit jeder Meile näher. Wir fahren mitten über den Campus der Universität von Colorado. Gebäude aus roten Ziegelsteinen ragen in die Landschaft hinein, und überall sind Studenten mit Rucksäcken unterwegs. Glaubt Alex wirklich, dass er dem Schicksal ein Schnippchen schlagen kann und einen hoch bezahlten Job findet, der ihn davon erlöst, sein Leben lang ein armer Schlucker zu sein? Das wird garantiert nicht passieren. Die Leute werden einen Blick auf ihn und seine Tattoos werfen und ihn schleunigst wieder vor die Tür setzen.
    »Ich muss in einer Stunde auf der Arbeit sein, aber ich sorge erst noch dafür, dass du dich bei mir zu Hause zurechtfindest«, sagt er und lenkt den Wagen in eine Parkbucht.
    Ich weiß, dass er einen Job in einer Autowerkstatt angenommen hat, um den Schuldenberg abzutragen, der sich durch die Studiendarlehen der Schule und der Regierung angehäuft hat.
    »Das hier ist es«, sagt er und zeigt auf das Gebäude direkt vor uns. » Tu casa .«
    Diese runde, achtstöckige Augenkrankheit von einem Gebäude, die an einen riesigen Maiskolben erinnert, ist so weit von einem Zuhause entfernt, wie es nur geht, aber egal. Ich ziehe meine Tasche aus dem Auto und schlurfe hinter Alex nach drinnen.
    »Ich hoffe, wir sind hier im Armeleuteviertel der Stadt, Alex«, sage ich. »Von reichen Leuten kriege ich Pickel.«
    »Ich lebe nicht im Luxus, wenn du das gemeint hast. Das hier ist subventionierter Wohnungsbau.«
    Wir nehmen den Aufzug in den dritten Stock. Auf dem Gang riecht es nach kalter Pizza, und der Teppich hat etliche Flecken vorzuweisen. Zwei heiße Bräute in Sportklamotten kommen an uns vorbei. Alex lächelt sie an. So verträumt wie sie zurückgucken, wäre ich nicht überrascht, wenn sie plötzlich auf die Knie fielen und den Boden küssten, über den er wandelt.
    »Mandi und Jessica, das ist mein Bruder Carlos.«
    »Hal-lo, Carlos …« Jessica mustert mich von oben bis unten. Auf einmal bin ich mitten im siebten Collegehimmel. Und es fühlt sich geil an. »Warum hast du uns nicht gesagt, dass er so scharf ist?«
    »Er geht noch auf die Highschool«, warnt Alex sie.
    Was glaubt er, wer er ist? Mein Schwanzwärter? »Abschlussklasse«, platze ich heraus und hoffe, damit die Enttäuschung abzumildern, dass ich kein Collegestudent bin. »In ein paar Monaten werde ich achtzehn.«
    »Wir schmeißen eine Geburtstagsparty für dich«, verspricht Mandy.
    »Cool«, sage ich. »Kann ich euch beide als Geschenk haben? «
    »Wenn Alex nichts dagegen hat«, flötet Mandy.
    Alex geht davon und fährt sich mit der Hand durch das Haar. »Ich kann nur verlieren, wenn ich dazu einen Kommentar abgebe.«
    Die Mädchen lachen. Dann joggen sie den Flur runter, aber nicht, ohne sich noch einmal umzudrehen und zum Abschied zu winken.
    Wir gehen in Alex’ Appartement. Er lebt wirklich nicht im Luxus. Ein Bett mit einer dünnen schwarzen Fleecedecke darauf steht an der einen Wand, ein Tisch mit vier Stühlen rechts gegenüber, und neben der Wohnungstür geht eine Küche ab, die so klein ist, dass kaum zwei Leute gleichzeitig hineinpassen würden. Das ist noch nicht mal ein Einzimmerappartement. Es ist ein Studio. Ein kleines Studio.
    Alex deutet auf die Tür neben seinem Bett. »Das Badezimmer ist da. Dein Zeug kannst du in den Schrank gegenüber der Küche tun.«
    Ich schmeiße meine Tasche in den Schrank und gehe weiter in den Raum hinein. »Mm, Alex … wo soll ich eigentlich schlafen?«
    »Ich habe eine Luftmatratze von Mandy geliehen.«
    » Está buena – sie ist süß.« Ich sehe mir das Zimmer genauer an. In unserem Haus in Chicago habe ich mir ein viel kleineres Zimmer mit Alex und Luis geteilt. »Wo ist der Fernseher?«, frage ich.
    »Ich hab keinen.«
    Scheiße. Das ist nicht gut. »Was zum Henker soll ich machen, wenn mir langweilig ist?«
    »Lies ein Buch.«
    » Estás chiflado , du spinnst doch. Ich lese nicht.«
    »Ab morgen wirst du es tun«, sagt er, während er gleichzeitig ein Fenster öffnet, um etwas
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