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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen
Autoren: Mats Wahl
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weiße Unterhose bis zu den Knien heruntergelassen. Die Schuhe mit den Troddeln hatte er sich von den Füßen geschüttelt. Sie lagen verkehrt herum am Fußende. Da Dick ziemlich groß ist, ragtenseine Füße über die Bettkante, und mir schoss seltsamerweise durch den Kopf, dass er noch dieselben Strümpfe trug, die er kürzlich angehabt hatte. Sein Hinterteil war weiß, als hätte er sich den ganzen Sommer über nicht nackt gesonnt. Er trug ein beigefarbenes Pikee-Shirt.
    Von Annie waren nur die Haare zu sehen, die auf dem Kissen ausgebreitet lagen, als hätte er sie ihr ausgerissen. Und der rechte nackte Oberschenkel und ein Stück von ihrem Rock. Ihre rote Unterhose lag auf dem Fußboden neben Dicks Schuhen.
    Dick drehte sich im selben Moment zur Tür um, als ich sie aufstieß. Sobald er mich entdeckte, hob er die linke Hand, während er sich gleichzeitig aufrichtete und nach seinen Jeans tastete. Auf der linken Wange hatte er rote Kratzspuren.
    »Hör mal, Junge!«, brüllte er, als stände ich am Rande des Fußballfeldes und nicht nur zwei Meter von ihm entfernt.
    Ich zog mich rückwärts in den Flur zurück, vielleicht zwei Schritte. Er folgte mir, was albern aussah, da ihm Jeans und Unterhose noch um die Beine hingen.
    »Nimm das weg!«, brüllte er, etwas gebückt, während er versuchte, die Jeans hochzuzerren. Er streckte die linke Hand nach dem Gewehrlauf aus.
    Da drückte ich ab.
    Die Kugel ging durch seine Handfläche, und ich hörte, wie sie die Fensterscheibe traf, denn es klirrte. Ich zog die leere Hülse heraus und hörte sie zu Boden fallen, während ich gleichzeitig eine neue Patrone in das Schloss schob.
    Dick stand mit heruntergelassener Hose da, und aus dem Loch in seiner Hand pulsierte Blut. Es blutete in heftigen Stößen, aber er kam weiter auf mich zu. Da schoss ich erneut und traf ihn in den Oberschenkel. Der Geruch nach Cordit stach in die Nase.
    Hinter ihm richtete sich Annie vom Bett auf, und ich gingweiter rückwärts. Ich wagte nicht noch einmal zu schießen, da sie hinter ihm stand.
    »Beruhige dich, Junge!«, brüllte Dick und starrte abwechselnd auf seinen Schenkel und seine Hand, aus der das Blut hervorschoss. »Beruhige dich, verdammt!«
    Er streckte die rechte Hand nach mir aus, um den Gewehrlauf zu packen. Ich zog mich rückwärts bis zur Treppe zurück, lief hinunter. Im Laufen kehrte ich ihm den Rücken zu, unten in der Diele drehte ich mich wieder zur Treppe um. Er hatte sich mit der unverletzten Hand die Hosen hochgezogen und folgte mir mit großen Schritten.
    Annie hatte angefangen zu kreischen.
    »Beruhige dich, verdammt noch mal!«, brüllte Dick, während er die Treppe in langen Sprüngen herunterkam, wobei er auf jeder Stufe Blutspuren hinterließ.
    Ich riss die Haustür auf und lief in den Regen, er hinter mir her. Der Regen hämmerte in großen explosiven Tropfen auf ihn nieder. Ich schoss noch einmal.
    Die Kugel traf ihn mitten in die Brust. Er senkte den Blick und betastete den Fleck, der sich rasch zehn Zentimeter unterhalb seines Kinns ausbreitete. Er drückte die unverletzte Hand gegen die Brust, setzte sich in den Schotter, kippte um und blieb auf der Seite liegen.
    Annie kam raus auf die Treppe. Sie trug denselben Rock vom Vortag und ein T-Shirt mit der Aufschrift »Love me or leave me«. Der Regen prasselte auf sie herunter, und im Handumdrehen war sie durchnässt.
    »Ist er tot?«, heulte sie. »Ist er tot?«
    Meine Beine trugen mich nicht mehr. Ich sank unter der Eiche zu Boden und lehnte mich gegen den Stamm.
    »Ist er tot?«, rief Annie. »Ist er tot?«
    Da richtete Dick sich auf und schaute auf seine blutende Hand. Neben ihm lag der hellblaue Spüllappen, mit dem ich amMorgen meinen Fahrradsattel abgewischt hatte. Er nahm den Lappen und drückte ihn gegen die blutende Hand. Dann fiel er wieder um und blieb mit der Wange auf dem Schotter liegen.
    Und die ganze Zeit regnete es.
    In dem Augenblick kam Nadja auf ihrem Fahrrad durch die Pforte. Sie stieg zwischen mir und Dick ab.
    »Ruf einen Krankenwagen!«, heulte Annie. »Ruf einen Krankenwagen!«
    Annie stand vornübergebeugt auf der Treppe, die Füße gespreizt und die Knie eng zusammengepresst. Obwohl der Regen über ihr Gesicht strömte, sah ich, dass sie weinte.

    31

    Der Polizist hinter dem Schreibtisch hatte einen grauen Bart, einen Kugelbauch, und er trug eine Brille mit viereckigen Gläsern, die an Bergers Brille erinnerte. Mama saß schräg hinter mir.
    »Da du noch keine fünfzehn bist«, sagte
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