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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen
Autoren: Mats Wahl
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Psychologin.«
    »Medikamente?«
    »Ich glaube, du bist deprimiert, Tom.«

    Die Praxis des Psychiaters war bei Slussen. Er war unrasiert und hatte dunkle Tränensäcke unter den Augen.
    »Wie kommt es, dass du deinen Vater nie getroffen hast?«, fragte er, nachdem ich eine halbe Stunde lang von Berger und seinem Haus, Annie, Morgan, Mama, Dick und Bathseba erzählt hatte.
    »Weiß ich nicht.«
    Er trommelte mit einer Bleistiftspitze auf seinen Daumennagel.
    »Und warum hast du das Gewehr geholt?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Hätte es nicht genügt, wenn du die Tür geöffnet hättest? Musstest du das Gewehr mitnehmen und schießen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    »Was hast du gedacht, als du das Gewehr geholt hast?«
    »Nichts.«
    »Und was hast du gefühlt?«
    »Ich hatte Angst.«
    »Wovor?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Er seufzte.
    »Ist bei allem, was passiert ist, etwas Gutes herausgekommen, was meinst du?«
    »Vielleicht.«
    »Was?«
    »Morgan rastet nicht mehr aus.«
    Er nickte und legte den Bleistift weg. Dann drehte er sich zu seinem Computer um und stellte mir ein Rezept aus.
    »Halte dich an die Anweisungen auf der Packungsbeilage«, sagte er, während er sich mir wieder zuwandte und mich anschaute.
    »Was ist das für ein Medikament?«, fragte ich.
    »Gegen deine Depression. Und vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn du deinen Vater besuchen würdest.«
    »Er will nichts von mir wissen.«
    »Das ist ein Risiko, das du eingehen solltest.«

    Ich sitze auf einem Stuhl Ester Grip gegenüber. Sie sagt nicht viel, sie fragt nicht einmal, ob ich meine Medikamente nehme. Ich hatte gedacht, dass sie mir Ratschläge geben würde, aber das tut sie nicht. Jedes Mal, wenn ich gehe, öffnet sie das Fenster. Vielleicht findet sie, ich rieche schlecht. Einmal habe ich sie danach gefragt.
    Und sie hat mir tatsächlich geantwortet. Sie sagte Nein, das finde sie nicht.
    Eines Tages, als wir einander gegenübersaßen, rief jemand auf der Straße einen Namen.
    »Gunnar!«, rief jemand. »Gunnar!«
    »Mein Vater heißt Gunnar«, sagte ich.
    Etwas später begann ich zu weinen. Ich wusste nicht, warum. Ester fragte, ob es mit Gunnar zu tun habe, und ich sagte, vielleicht.
    Manchmal spreche ich über Morgan. Er hat mich immer gehasst. Das ist kein Wunder. Er weiß, dass ihn alle für einen hoffnungslosen Fall halten. Obwohl er keine drei Schüsse auf den Liebhaber seiner Mutter abgegeben hat – wer ist hier eigentlich ein hoffnungsloser Fall? Dick war nicht nur Mamas Liebhaber, macht Ester Grip mich aufmerksam. Nein, sage ich. Was war er eigentlich?

    In der Schule lebte ich wie in einer Blase. Alle schienen zu glauben, sie wüssten genau, was passiert war. Sie hielten Abstand von mir und warfen sich vielsagende Blicke zu. Fast niemand wollte mit mir reden, nicht einmal Nadja. Sie hatte natürlich allen erzählt, was sie wusste, und die Boulevardzeitungen hatten jede Menge Artikel über den »Skandalschüler« gebracht.
    Sara hatte die Schule gewechselt.
    Der Direktor hat nie ein Vermittlungsgespräch zustande gebracht. Vielleicht hing das damit zusammen, dass er alle Händevoll damit zu tun hatte, dass die Überwachungskameras installiert wurden.
    Tubal hielt sich zurück. Vielleicht glaubte er, ich hätte noch eine Kommode und noch ein Gewehr. William gratulierte mir an einem Tag im Speisesaal, als es Minestrone gab. Der Bulle ist unser Hauptfeind, sagte er. Vergiss das nie!
    Ich verstand nicht, was er meinte.
    Patrik stand daneben und machte ein Gesicht, als würde er William recht geben. Er hatte sich schwarze Stiefel und eine schwarze Hose mit aufgesetzten Seitentaschen angeschafft.

    Annie wechselte die Schule und fuhr jeden Tag mit dem Vorortzug in die Stadt. In der neuen Schule wurde natürlich schnell bekannt, dass sie die Schwester des »Skandalschülers« war. Sie weinte jeden Abend und schrie, dass ihr Leben zerstört sei.

    Eines Tages, als wir Schwedisch hatten, ging wieder der Feueralarm los. Tubal, Marc und Ludde waren nicht da. Auch Nadja nicht.
    Es war schönes Wetter, und wir hatten eine langweilige Stunde, also hatte niemand etwas dagegen, nach draußen zu gehen.
    Wir versammelten uns auf dem Schotterplatz und wurden von der Mücke gezählt, die uns umkreiste, mit dickem Zeigefinger auf uns zeigte und unsere Anwesenheit in einem kleinen Buch notierte.
    Jessica und Malin kamen auf mich zu.
    »Weißt du, wer dein Fahrrad kaputt gemacht hat?«, fragte Malin.
    »Wahrscheinlich nicht, oder?«, sagte
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