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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt
Autoren: Nicolas Barreau
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Florett umzugehen verstand – sondern Ihr
Herz.
    Ihr wunderbar durch die Liebe verwundetes Herz.
    Ich nehme es gerne an.
    Und nun, da ich endlich jene Worte hörte, die
auch noch die letzte Kammer meines ängstlichen und stolzen Herzens
aufgeschlossen haben, muß ich Ihnen leider sagen, daß dies der letzte Brief
sein wird, den die Principessa an den Duc schreibt.
    Unser Spiel ist vorbei, und Duc und Principessa
werden nun Ihre Kostüme abstreifen müssen, sich wirklich bei den Händen fassen,
sich wirklich küssen und zu einem gemeinsamen Spaziergang durch das wirkliche
Leben, was immer das sein mag, aufbrechen.
    Ich sage Ihnen also Adieu, mon Duc, und flüstere
zärtlich deinen Namen: Jean-Luc, Liebster!
    Und nun hör gut zu! Ein letztes kleines Rätsel
gebe ich dir noch mit auf den Weg zu deiner Principessa, die dieses Postfach
löschen wird, sobald sie diese Mail abgeschickt hat. Wir werden es nicht mehr
brauchen.
    Du findest mich am Ende der Welt … wobei das Ende
der Welt nicht immer am Ende der Welt ist. Komm dorthin in drei Tagen, am
sechzehnten Juni, komm zur blauen Stunde.
    Ich werde da sein.
    Bis dahin verabschiede ich mich mit dem
zärtlichsten aller Küsse ein letztes Mal als
    Ihre Principessa

14
    Es ist eine seltsame Sache mit der
Zeit.
    Sie
beherrscht unser Leben wie keine andere Größe. Im Endeffekt dreht sich alles um
die Zeit, die wir haben, die Zeit, die wir nicht haben, und die Zeit, die uns
noch bleibt. Das ist die Echtzeit. Ein Tag, zehn Monate, fünf Jahre. Dann gibt
es aber auch noch die gefühlte Zeit, und das ist die launische Schwester der
Echtzeit. Die, die aus einer Stunde, die wir warten müssen, etwa fünfunddreißig
Stunden macht, und aus einer Stunde, die wir noch haben, um Wichtiges zu
erledigen, plötzlich nur noch acht Minuten.
    Sie läuft uns davon, sie kriecht hinter uns her, und es gibt nur
einen Punkt, an dem wir die Zeit beherrschen. Es sind dies jene seltenen
Momente, da wir ganz in der Zeit sind und sie gerade deswegen nicht mehr
spüren. Dann setzen wir sie außer Kraft, diese kleinen Zahnrädchen, die sonst
ineinandergreifen, und wir segeln völlig unangestrengt im Leerlauf des Lebens.
    Es sind die Momente der Liebe.
    Ich weiß nicht, wie lange ich reglos vor Glück vor dem Brief der
Principessa gesessen habe. Irgendwann sprang ich auf, tanzte durch die Wohnung
wie Alexis Sorbas und stieß zwischendurch immer wieder ein kurzes
triumphierendes »Ja!« aus.
    Cézanne umkreiste mich bellend und aufgeregt, er teilte meine
Euphorie, wenngleich vermutlich aus anderen Gründen.
    Und so polterten wir fröhlich das Treppenhaus hinunter, überrannten
im Hausflur beinahe Madame Vernier, die mir und meiner exorbitant guten Laune
ein überraschtes »Bonjour!« hinterherrief, wir tollten durch den Park, und
Marion, die bereits in der Galerie wartete, brachte es auf den Punkt.
    Â»Meine Güte, Jean-Luc, du bist ja wie ausgewechselt«, sagte sie.
»Ein völlig neuer Mann!«
    Ja, ich fühlte es selbst, ich war der Liebling der Götter geworden,
und alles, alles würde mir gelingen. Das kleine Rätsel der Principessa war
schnell gelöst, und ich hatte noch das ganze Wochenende Zeit für meine Recherchen.
    Wenn das »Ende der Welt«, das
»Au bout du monde« nicht am Ende der Welt war, wie die Principessa sagte, war
es sicherlich in Paris. Und dann konnte es ja nur ein Café oder ein Restaurant
sein, was ich finden mußte. Die leichteste Übung für einen Nachkommen des
berühmten Jean-François Champollion, dachte ich vergnügt.
    Doch noch einmal, ein letztes Mal, sollte ich mich irren.
    Hatten sich die vergangenen fünf principessalosen Tage
dahingeschleppt wie die letzten fünf Jahre eines einsamen alten Mannes, dem die
Zeit nicht vergeht, so mußte ich nun zu meinem Entsetzen feststellen, daß die
drei Tage bis zu dem vereinbarten Rendezvous mit meiner schönen Unbekannten mir
zwischen den Fingern zerrannen wie Wüstensand.
    Und
als ich am Montagmittag immer noch nicht wußte, wo sich das Ende der Welt
befand, an dem ich mich am frühen Abend, »zur blauen Stunde« einzustellen
hatte, wie die Principessa schrieb, erfaßte mich eine solche Panik, daß ich
mich mühsam beherrschen mußte, nicht die Passanten auf der Straße anzusprechen
und alle nach dem »Au bout du monde« zu fragen.
    Ich hatte nichts unversucht gelassen.
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