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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt
Autoren: Nicolas Barreau
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vermisse Sie! Ich möchte endlich
bei Ihnen sein!
    Ja, ich bin neugierig auf Sie, ich gebe es zu.
Aber es ist keine voyeuristische Neugierde, keine Neugierde, die nur meiner
eigenen Befriedigung dient. Keine Neugierde, die nur ein Rätsel lösen will, und
das wäre dann auch schon das Ende.
    Ich sehne mich geradezu verzweifelt danach, Sie
zu lieben und zu erkennen, wie Sie noch keiner geliebt und erkannt hat.
    Warum sollte ich mich auch mit weniger
zufriedengeben, wo Sie doch so unendlich reich sind, so unergründlich und
unerschöpflich?
    Und weil ich Sie nie ausschöpfen kann, sollen Sie
ganz ohne Sorge sein. Sie werden immer das Geheimnis bleiben, so sicher, wie
Sie über das Geheimnis Ihrer Macht über mich verfügen, mit der Sie mir alles
geben und alles nehmen können.
    Noch nie ist mir ein Mensch so nahe gekommen wie
Sie!
    Und wie Cyrano de Bergerac, dem ich mich in
diesen Tagen so besonders verbunden fühle, wenngleich meine Nase nicht so groß
ist wie die seine, beteuere ich feierlich:
    Wenn ich Sie nicht bald sehe, werden mich Verdruß
und Liebe in einer Weise aufzehren, daß den Würmern im Grab nur Hoffnung auf
ein karges Mahl bleibt.
    Hier ist sie also, meine bedingungslose
Kapitulation, unterzeichnet am Freitag, den dreizehnten Juni, kurz vor der
Stunde der Dämmerung:
    Ich liebe Sie!
    Ich liebe dich, wer immer du bist.
    Jean-Luc
    Der Morgen graute, als ich meinen Brief
mit bangem Herzen abschickte. Ich gebe zu, ich hatte einen Augenblick gezögert,
als ich diesen letzten Satz schrieb. Nicht weil ich das Gefühl der Liebe nicht
wirklich empfand, sondern weil es mir mit Erstaunen auffiel, daß ich in diesem
Brief zum ersten Mal und zum einzigen Mal seit vielen Jahren das Wort »Liebe«
benutzte. Ja, Aristide hatte es gleich gewußt, alle hatten es gewußt, die mich
in diesen Tagen sahen, und nun – endlich! – wußte ich es auch.
    Ich
ahnte, wenn auch dieser Brief unbeantwortet blieb, wäre die schönste Geschichte
der Welt unwiderruflich zu Ende. Dann konnte ich die kleine weiße Maschine auch
gleich in die Seine werfen und in ein tibetanisches Kloster eintreten.
    Doch bevor ich allem entsagte, brauchte ich einen starken
Kaffee.
    Es tat gut zu spüren, wie das dunkle, süße Gebräu, das ich in
mehreren großen Schlucken hinunterkippte, durch meinen Körper rann, doch
richtig wach wurde ich davon nicht. Ich fühlte mich so ausgewrungen wie der
Aufnehmer von Marie-Thérèse, wenn sie nach dem finalen Wischen den nassen
grauen Lappen aufnahm und energisch die Enden gegeneinander verdrehte, um noch
den letzten Tropfen Wasser herauszupressen.
    Ich
war unendlich müde, als ich wieder zurück an den Computer schlurfte und mich in
meinen Sessel fallen ließ.
    Und dann war ich mit einem Mal hellwach, glücklich und hätte
spielend alle Bäume im Jardin du Luxembourg ausgerissen!
    Die Principessa hatte geantwortet.
    Noch niemals habe ich eine Mail mit solch fiebriger Hast
aufgemacht, noch nie die Worte so verschlungen. Bei dem Betreff blieb mir erst
das Herz stehen, dann lachte ich erleichtert und wurde zu einem einzigen großen
Sehnen.
    Ich
las die Mail der Principessa zehn-, fünfzehnmal, ich konnte nicht aufhören. Es
war, als hätte mich jemand mitten in der Nacht mit Sonne überschüttet, und in
der Tat flutete die Sonne durch das Fenster auf meinen Schreibtisch, als ich
den Brief ein letztes Mal las.
    Betreff: Mein letzter Brief an den Duc!
    Mein lieber Duc!
    Nein, das geht nun wirklich nicht, daß die Würmer
auf den Friedhöfen von Paris nichts mehr zu knabbern haben an Ihnen und am Ende
noch verhungern, das sehe ich ein! Die kleinen Erdtierchen sollen ein Festmahl
vorfinden, wenn Sie, mein lieber Duc, glücklich und wohlgenährt in Ihr Grab
steigen. Aber das soll erst in vielen, vielen Jahren sein, denn ich bin
überhaupt und noch lange nicht dazu bereit, auf Ihre Anwesenheit zu verzichten!
    Ach, mein Duc! Ich scherze, und in Wirklichkeit
läuft mir das Herz über!
    Ich muß gestehen, daß mich Ihr letzter Brief
sprachlos gemacht hat. In meinem Leben habe ich einen solchen Brief noch nicht
bekommen. Ihre Worte flossen durch mich hindurch wie ein Wärmestrom und
brachten noch die feinsten Kapillaren zum Summen.
    Das ist das schönste Geschenk, das Sie mir machen
konnten, und damit meine ich nicht die bedingungslose Kapitulation eines Ducs,
der doch so vortrefflich mit seinem
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