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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese
Autoren: Roberto Costantini
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den Polizeidienst aufgenommen und zum Kommissar ernannt wurde. So bekam ich 1980 in Vigna Clara, einer der ruhigsten Gegenden Roms, meine erste Stelle.
    Nachts allerdings wollte ich dieses falsche Rom weit hinter mir lassen, wollte raus aus den reichen Vierteln der Spießer und vor allem raus aus der Altstadt, wo das Durcheinander und die Dekadenz der Stadt besonders ins Auge sprangen. Ich mietete mir ein Apartment in Garbatella, einem vom Duce errichteten Arbeiterviertel, wo die Wohnungen damals sehr günstig waren. Vor den kleinen Lokalen dort, in denen man das beste Essen und den besten Wein der Stadt bekam, saßen noch authentische Römer und genossen die frische Frühlingsluft.
    Vor allem aber widmete ich mich der einzigen Leidenschaft, die ich noch besaß: den Frauen. Allen Frauen, unabhängig von Typ, Herkunft und Alter, Hauptsache, sie waren schön und verplemperten nicht meine Zeit mit dem üblichen Theater. Ich suchte keine Freundschaft, Nähe oder Geborgenheit, ich war schlicht gierig. Ich wechselte die Frauen so oft, dass ich mir nicht einmal Mühe gab, ihren Namen zu behalten. Mir ging es einzig darum, möglichst viele kennenzulernen, was für einen jungen, attraktiven Polizeibeamten nicht schwierig war. Michele Balistreri lebte im Hier und Jetzt. Fehler, Gewissensbisse, Reue waren ihm fremd. Ich gehörte zu den Auserwählten, die der Rest der Welt nicht verstand und die sich nicht um das Urteil der anderen scherten. Auch nicht um das Urteil Gottes.
    Wie Alberto versuchte auch ich mir einzureden, dass es nur eine Denkpause sei, eine Ruhephase, ein Dahintreiben auf einem Fluss mit sanfter Strömung. Nach den turbulenten Jahren, die ich hinter mir hatte, war das genau das, was ich brauchte. Einsamkeit, versüßt durch banale Arbeit, gutes Essen, viel Sex und Poker, und das Ganze in vollkommener Gedankenlosigkeit. Ein labiles Gleichgewicht zwischen Spaß und Langeweile ohne jede emotionale Bindung, denn Liebe war für mich verbrannte Erde.
    Aber ich sagte mir auch, dass ich so bald wie möglich wieder abhauen würde. Ich wollte nicht als seniler alter Polizist enden, der in seinem Büro hockte, um einem schwachen und korrupten Staat zu dienen. Ich würde nach Afrika zurückgehen und Löwen und Tiger jagen, weit weg von diesem spießigen, verlogenen, scheinheiligen Italien. Weit weg von allem, was ich hasste. Weit weg von meinen Niederlagen.
    Wenige Tage nach unserer ersten Begegnung lud ich Dioguardi zu einer Pokerrunde mit zwei Kollegen von der Polizei ein, und erstaunlicherweise sagte er umstandslos zu. Ich an seiner Stelle wäre nicht das Risiko eingegangen, an einem Tisch mit drei Fremden, die sich zudem untereinander kannten, mein Geld aufs Spiel zu setzen. Wie ich später feststellte, war Dioguardi aber in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von mir, auch in seinem Vertrauen in die Mitmenschen.
    Wir spielten nach dem Abendessen, bis zwei Uhr nachts, im Hinterzimmer einer Pianobar nicht weit von der Piazza di Spagna. Schon in der ersten halben Stunde merkte ich, dass er erstklassig war. Er besaß Mut, Geschick und Fantasie. In den ersten zwei Stunden gewann er sehr häufig, um dann in der letzten über die Hälfte dessen, was er gewonnen hatte, wieder zu verlieren.
    »Du hast absichtlich verloren«, sagte ich später, als die beiden anderen gegangen waren.
    Er schüttelte verlegen den Kopf. »Ich habe nur etwas ausprobiert. Das brauche ich, um mich zu verbessern. Wenn ich viel gewonnen habe, mache ich das manchmal.«
    »Zum Beispiel in einem Freundschaftsspiel gegen Dilettanten …«
    Er lächelte. Dann verriet er mir, dass er nur sehr selten und ausschließlich gegen steinreiche Hosenscheißer spielte. Auf diese Weise gewann er unglaublich viel Geld, wofür er sich sogar ein bisschen zu schämen schien. Das Geld aus den Gewinnen spendete er, wie ich später erfuhr, für wohltätige Zwecke, denn seine fabelhaften Bluffs beim Pokern empfand er fast als Betrug. Etwas, auf das er mit seiner katholischen Moral gar nicht stolz war.
    Wir gingen nach vorne in die überfüllte Pianobar, wo soeben, begleitet vom Klavier, eine Gruppe junger Leute sang. Die Solosängerin war eine wunderschöne Farbige, die Angelo, kaum hatte sie ihn erspäht, sofort zu sich rief: »Angelo, Angelo, komm her!«
    Er wollte nicht, doch sie ließ nicht locker. Schließlich gab er nach, und das Mädchen drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Er errötete und wich zurück. Dann hob sie seinen Arm in die Höhe, als wollte sie ihn zum
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