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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese
Autoren: Roberto Costantini
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Sieger küren, und wandte sich ans Publikum: »Das ist mein Freund Angelo, der beste Sänger Roms, und er wird jetzt für uns singen.«
    Auch auf diesem Gebiet war er erstklassig. Er sang jedes Lied, das die Gäste sich wünschten, und endete mit einer Version von My Way , die ziemlich nah an Sinatra herankam. Nach dieser Meisterleistung stellte er mir die Sängerin vor und ließ uns lange genug allein, dass ich mir ihre Telefonnummer geben lassen konnte. Er hatte schon verstanden, mit wem er es zu tun hatte.
    Es war nach drei, als wir das Lokal verließen.
    »Michele, wenn du noch kannst, fahren wir jetzt nach Ostia.«
    »Ostia? Es ist Januar, was sollen wir denn am Meer?«
    »Da gibt es eine kleine Bäckerei. Um sechs holen sie die besten Croissants von ganz Rom und Umgebung aus dem Ofen.«
    Er hatte Lust zu reden. Und ich auch. Seltsam, denn mein Verlangen, mich mit einem meiner Geschlechtsgenossen anzufreunden, hatte mit den Jahren deutlich abgenommen. Wir fuhren mit seinem schrottreifen Cinquecento. Eine halbe Stunde später parkten wir an der Strandpromenade. Die Nacht war sternenklar und kalt, aber windstill. Wir kurbelten die Fenster herunter und rauchten. Der Geruch und das sanfte Schwappen des Meeres, das wie ein Ölgemälde dalag, drangen zu uns herüber. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
    Im Gegensatz zu mir sprach Angelo gern von sich. Er stammte aus einer armen Familie, die in einem Rom lebte, in dem sich, von seinen Eltern mal abgesehen, jeder auf mehr oder weniger legale Weise bereicherte. Ein Junge aus der Vorstadt, Sohn eines Musikers, der durch die Kneipen tingelte, und einer Magierin, die in die Zukunft sehen konnte. Zwei brotlose Künstler, die sich später in ein abgelegenes Dorf zurückzogen, wo sie, als ihr Sohn noch nicht erwachsen war, beide an Leberzirrhose starben. Nach gesellschaftlichem Verständnis waren es gescheiterte Existenzen, doch Angelo wusste, was er ihnen zu verdanken hatte. Seinem singenden Vater die Stimme, seiner seherischen Mama die Fähigkeit zu bluffen und zu improvisieren.
    Mit der Zeit hatte er zwei Dinge erobert: Paola, eine wohlhabende Verlobte, die ihn abgöttisch liebte und noch in diesem Jahr heiraten würde, und eine Tätigkeit im Immobiliengeschäft, die ihm Paolas Onkel, ein Kardinal, verschafft hatte. Cardinale Alessandrini, knapp über fünfzig, kümmerte sich um die Unterbringung der vielen Priester und Schwestern, die eine Zeit lang in Rom studierten oder für ein paar Tage als Pilger oder Touristen in die Stadt kamen. Die Verwaltung von Hunderten von Klöstern, Gasthäusern und Wohnungen des Vatikan hatte man Angelo Dioguardi anvertraut, da er zwar Schulabbrecher, aber auch ein guter Christenmensch war. Und mit der Nichte des Kardinals verlobt, versteht sich. Dieser Bürotätigkeit, für die er ganz offensichtlich ungeeignet war, widmete er sich mit Hingabe und Energie. Der Kontrast zu meiner Arbeitseinstellung hätte nicht größer sein können. Und auch was Frauen anging, war er das genaue Gegenteil von mir. Er kannte eine Menge Mädels, was er jedoch aus eiserner Treue zu Paola niemals ausnutzte. In der Liebe war er ein Idealist auf der Suche nach der einzigartigen und perfekten Beziehung. Unsere Freundschaft erwies sich als Glücksfall für mich, der ich stets auf der Jagd war: Angelo lockte die Frauen an, und ich schnappte zu.
    »Bist du Paola wirklich absolut treu?« Als Antwort erwartete ich einen Lobgesang auf die Liebe, doch Angelo überraschte mich.
    »Sie ist schön, nett, intelligent, reich und die Nichte eines Kardinals, der mir obendrein Arbeit gibt. Ich dagegen bin bettelarm und ungebildet, weil ich die Schule geschmissen habe. Da ich also allen Grund zur Dankbarkeit habe, sollte ich andere Frauen nicht einmal ansehen.«
    Wir blieben bis zum Morgengrauen. Irgendwann stiegen wir aus, um uns die Beine zu vertreten. Aus der geschlossenen Bäckerei drang Licht und der wunderbare Duft von gebackenem Hefeteig. Ich nahm eine Zigarette aus meiner zweiten Schachtel. Er hatte seine aufgeraucht, und so bot ich ihm eine von meinen an.
    »Nein danke, Michele. Eine Schachtel Gitanes alle zwei Tage. Das muss reichen.«
    »Du bist zu kontrolliert, Angelo. Ab und zu musst du dich mal gehen lassen.«
    Er fuhr sich mit der Hand durch das zerzauste blonde Haar. Dann sah er mich an und deutete aufs Meer.
    »Hast du Lust, schwimmen zu gehen?«
    »Spinnst du? Im Morgengrauen, im Januar?«
    »Du spürst die Kälte gar nicht. Und danach hast du einen
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