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Drüberleben

Drüberleben

Titel: Drüberleben
Autoren: K Weßling
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Straße. Dann bog er um die Ecke, bis wir an der schmalen Straße zum Wald angelangt waren. Dort blieb er stehen.
    Er nestelte in seiner Tasche herum, bis er schließlich ein schwarzes Mäppchen hervorholte, das er fest umschlossen hielt.
    » Ida, die Mama und ich haben uns entschlossen, dir das hier zu überreichen!«, und er legte mir behutsam das Mäppchen in die Hand. Ich drehte es und sah die Adresse des Autohauses, in dem meine Eltern ihr Auto gekauft hatten.
    » Oh toll, ein Zweitschlüssel zu eurem Wagen«, sagte ich und grinste schief, um den Augenblick noch ein wenig hinauszuzögern, in dem sie mir sagen würden, dass sie mir ihr Auto schenkten.
    Mein Vater forderte mich auf, auf den Schlüssel im Inneren des Etuis zu drücken. Ich leistete seiner Aufforderung Folge und zuckte zusammen, als eines der parkenden Autos neben mir aufblinkte und das Klacken der Entriegelung erklang. Das war nicht das Auto meiner Eltern. Das war ein blaues, zweitüriges Auto, das hinter ihrem Wagen stand. Ich starrte meinen Vater an, der vertraulich den Arm um mich legte.
    » Willst du dich gar nicht hineinsetzen, Ida? Das ist unser Geschenk! Freust du dich! Setz dich doch mal hinein, es fährt sich ganz, ganz toll!«, quietschte meine Mutter erregt, und ich blieb noch immer stumm, schaffte es aber immerhin, meine Beine in Richtung des Gefährts zu bewegen, die Tür zu öffnen und mich auf den Fahrersitz fallen zu lassen.
    Das war es also. Das war mein Auto. Das war also die Überraschung, von der sie gesprochen hatten. Ich steckte den Zündschlüssel ein und ließ den Motor aufheulen. Ich lächelte und winkte aus dem Fenster, damit meine Eltern sahen, dass ich so etwas wie Freude empfand. Ich fühlte gar nichts.
    Nachdem ich einmal ausgeparkt und wieder eingeparkt hatte, schaltete ich das Auto ab und stieg aus. Meine Eltern sahen sehr glücklich aus. Ich versuchte zwei halbherzige Umarmungen und spürte, wie fremd das Gefühl war, meine Eltern zu berühren. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich ihnen zum letzten Mal auf eine so körperliche Weise nah gewesen war. Wir gingen zurück ins Haus, mein Vater neben mir, der unablässig auf mich einsprach, wie solide, wie zuverlässig, wie absolut toll dieser kleine blaue Wagen sei.
    Zurück in der Küche trank ich gierig ein Glas Wasser, dessen Kühle meinen gereizten Magen einen Moment lang zum Gluckern und Rumoren brachte, bis er sich endlich beruhigte und ich mich zu meinen Eltern setzte. Mein Vater sah mich stolz an. Mit dem gleichen Stolz hatte er mich angesehen, als ich Jahre zuvor erzählte, dass ich jetzt doch studieren würde. Es war der Stolz eines Vaters, der im Grunde Erleichterung war. Erleichterung darüber, dass jetzt doch noch Optimismus Einzug in ihrer aller Leben halten würde, dass das Sorgenkind der Familie jetzt den soliden, den verlässlichen, den richtigen Pfad betrat. Ich schaute in das Glas Wasser und sah, wie kleine Tropfen hineinfielen, die aus meinem Gesicht kamen.
    » Was ist denn jetzt los?«, fragte meine Mutter und sah mich erschrocken an.
    » Ein Auto, Mama, ein verdammtes Auto? Ist das euer Ernst?«
    » Was ist denn falsch an dem Auto?«, fragte mein Vater, und Enttäuschung verwischte den Stolz in seinen Augen.
    » Ich bin in einer Psychiatrie. Das ist so was, in das Menschen gehen, wenn sie das Haus nicht mehr verlassen können. Oder wenn sie lieber Ausflüge auf sehr hohe Gebäude machen, als mal in den Park zu gehen. Da sind so Leute wie ich, die überhaupt gar nichts auf die Reihe bekommen. Da sind nicht Leute wie ihr, die ihren Kindern lieber Autos schenken, als sie dort zu besuchen!«
    » Das ist nicht dein Ernst, Mädchen.« Mein Vater funkelte mich an. Die Metamorphose in seinen Augen, die aus Stolz, Erleichterung und Enttäuschung eine saure Suppe aus Wut und noch mehr Enttäuschung hatte gären lassen, blitzte mir entgegen.
    Ich begriff selbst nicht, was ich da sagte, begriff die Worte nicht, die aus meinem Mund auf den Tisch fielen und dort in all ihrer Schwere lagen, sodass sie niemand aufnehmen und wegfegen konnte. Einmal gesagt, lagen sie dort herum und warteten darauf, dass ich sie zurücknahm, sie mir in den Mund stopfte und sie wieder hinunterschluckte.
    Das Würgen, das eigentlich ein Schluchzen war, kam mit einer Heftigkeit aus meinem zitternden Körper und war für einen Moment das einzige Geräusch in der Küche, die ansonsten sehr still geworden war.
    Meine Mutter wandte sich ab und begann ebenfalls leise zu schluchzen, und
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