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Driver

Driver

Titel: Driver
Autoren: James Sallis
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diesmal nicht zu Handgreiflichkeiten gekommen. Noch nicht.
    »Du kannst doch nicht …«
    Bernie packte den Hals seines Nachbarn mit einer Hand und drückte zu.
    »Ich bin ein sehr geduldiger Mann, Lenny, und halte nicht viel davon, mich ungebeten in den Kram anderer Leute einzumischen. So wie ich das sehe, führt jeder von uns sein eigenes Leben, richtig? Und jeder hat das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Also sitze ich jetzt seit fast einem Jahr da nebenan und höre mir an, was hier bei euch abgeht, und ich denke immer, hey, er ist ein anständiger Kerl, der kriegt das schon auf die Reihe. Du kriegst es doch auf die Reihe, Lenny, oder?«
    Bernie bewegte seine Hand auf und ab, was bewirkte, dass der Nachbar zwangsläufig nickte.
    »Shonda ist eine gute Frau. Du kannst von Glück reden, dass du sie hast, kannst froh sein, dass sie’s so lange mit dir ausgehalten hat. Und dass ich’s so lange mit dir ausgehalten habe. Sie hat dafür einen guten Grund: Sie liebt dich. Ich dagegen habe überhaupt keinen Grund.«
    Tja, das war dumm, dachte Bernie, als er in seine Wohnung zurückkehrte und sich noch einen Scotch einschenkte.
    Nebenan war jetzt alles still. Die orthopädische Couch hieß ihn willkommen, wie immer.
    Hatte er den Fernseher angelassen? Er konnte sich nicht erinnern, ihn überhaupt eingeschaltet zu haben, aber er lief und zeigte eine dieser im Augenblick so beliebten Gerichts-Dokusoaps, Richter Soundso und seine Gäste, schroffe, sarkastische New Yorker, oder Texaner mit einem Akzent so fett wie Zuckerguss, lauter Karikaturen, die so blöd waren, ihre Blödheit landesweit im Fernseher ausstrahlen zu lassen.
    Wieder so eine Sache, die Bernie schrecklich ermüdete.
    Er war ratlos. Hatte er sich verändert, oder hatte sich die Welt um ihn herum verändert? Es gab Tage, da erkannte er sie kaum wieder. Als wäre er von einem Raumschiff abgesetzt worden und versuchte jemanden zu spielen, der hierher gehörte. Alles war so billig und geschmacklos und hohl geworden. Du kaufst dir einen Tisch, und was kriegst du? Drei Millimeter Kiefernfurnier auf Sperrholz. Gibst 1200 Dollar für einen Sessel aus, und du kannst in dem Scheißding nicht mal sitzen.
    Bernie hatte viele Burnouts kennen gelernt, Kerle, die anfingen, sich zu fragen, was sie eigentlich machten und ob irgendwas davon überhaupt irgendeine Rolle spielte. Meistens verschwanden sie kurz darauf. Wanderten mit Lebenslänglich in den Knast oder wurden nachlässig und ließen sich von jemandem umlegen. Oder sie wurden von den eigenen Leuten ausgeschaltet. Bernie hielt sich selbst nicht für ausgebrannt. Dieser Fahrer war es todsicher auch nicht.
    Pizza. Scheiße noch mal, er hasste Pizza.
    Wenn man es sich genau überlegte, dann war’s schon ziemlich komisch, ausgerechnet ihm all diese Pizza-Werbung unter der Tür durchzuschieben.

30
    Als Driver noch ein kleiner Junge war, hatte er ungefähr ein Jahr lang, so kam es ihm wenigstens vor, immer wieder denselben Traum. Er stand auf Zehenspitzen auf einem schmalen Mauervorsprung an der Seite des Hauses, ungefähr zweieinhalb Meter über dem Boden, weil das Haus an einem Hang gebaut war. Unter ihm war ein Bär. Der Bär griff nach ihm, er zog sich auf einen Fenstersims zurück, und nach einer Weile pflückte der Bär frustriert eine Tulpe oder eine Iris aus dem Beet am Fuß des Hauses und fraß sie. Dann versuchte er wieder, an Driver heranzukommen. Am Ende nahm der Bär eine weitere Tulpe, betrachtete sie nachdenklich und bot sie Driver an. Driver griff nach der Tulpe und erwachte dann jedes Mal.
    Das war in Tucson, als er noch bei den Smiths wohnte. Sein bester Freund damals hieß Herb Danziger. Herb war ein Autonarr, schraubte in seinem Garten an Autos herum und verdiente damit gutes Geld, fast mehr als sein Vater beim Sicherheitsdienst und seine Mutter als Hilfskrankenschwester zusammen. Bei ihm stand immer ein 48er Ford oder ein 55er Chevy herum, die Motorhaube oben und die Hälfte der Innereien daneben ausgebreitet auf einer Plane. Herb besaß eines dieser wuchtigen blauen Handbücher der Autoreparatur, aber Driver sah nie, dass er mal einen Blick hineinwarf, kein einziges Mal in all den Jahren.
    Zu Drivers erster und letzter handgreiflicher Auseinandersetzung an der neuen Schule kam es, als der dortige Oberrabauke auf dem Schulhof zu ihm kam und sagte, er solle sich nicht mit Juden herumtreiben. Driver wusste irgendwoher, dass Herb Jude war, aber ihm war nicht klar, warum das für irgendwen ein Problem
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