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Dreimond - Das verlorene Rudel

Dreimond - Das verlorene Rudel

Titel: Dreimond - Das verlorene Rudel
Autoren: Viola L. Gabriel
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nach ihm reckten.
    Es lag nicht an seinem strengen, wettergegerbten Gesicht, weder an dem hohen Wuchs noch an den breiten Schultern, die er stets senkte, so als hätte er eine schwere Last zu tragen.
    Es war, weil er ein Fremder war.
    Fremd, zu jeder Zeit und ganz egal, wohin es ihn gerade trieb.
    Fremd, selbst hier in seinem Forsthaus.
    Der Mann war auf eine merkwürdige Weise nicht zu fassen, wirkte zur selben Zeit alt und jung. Abgeklärt, vom Leben gezeichnet und doch ruhelos und ungeduldig.
    Nanna erschrak, als er urplötzlich nach dem Becher langte. Er umklammerte ihn, als wollte er ihn zerdrücken, obwohl das Gefäß noch schmerzend heiß sein musste. Ein Narr, wer ihn für einen gewöhnlichen Kaufmann hielt …
    »Warte, der Trunk muss noch ziehen«, warnte sie, als er den Becher anhob.
    Mit einem Knall ließ er ihn zurück auf die Tischplatte schnellen.
    »Nun sag ’ es doch endlich! Wo ist sie?«
    »Weit fort … bei Freunden«, gab ihm Nanna nur zögernd zur Antwort.
    Und zum ersten Mal dachte sie, dass das gut war.
     
    *
    Zurück in Liebstein. Nur wenige Schritte trennten Fiona noch vom Forsthaus.
    Vom Waldesrand den schneebedeckten Hang hinunter, ein altbekannter Weg, den sie so oft gegangen war. Irgendwann, in einem anderen Leben, das sich so weit entfernt anfühlte. So unglaublich weit entfernt …
    Erst jetzt begriff sie wirklich, wie sehr sie das dort unten liebte. Nicht die Dörfler – zum Kuckuck mit denen –, aber die Wärme im Forsthaus, das Lächeln der Kräuterfrau, die dort drinnen auf sie zu warten schien …
    »Sicher«, sagte Serafin. »Da unten bist du sicher.«
    Sie zuckte zusammen, als er sie an den Schultern fasste, wie um sie sanft nach vorn zu schieben.
    »Was …? Ihr kommt nicht noch ein Stück mit …?«
    Erschrocken blickte sie sich zu den Wölfen um, zuerst zu Lex, der stur den Kopf abwandte, dann zu Carras, der sie mit großen, traurigen Augen anstarrte. Vor den beiden stand Serafin, der Leitwolf, der sie eindringlich ansah.
    »Nein, Fiona. Hier werden wir uns trennen.«
    Es klang, als wäre es längst entschieden. Er dankte ihr noch einmal, wünschte ihr alles Gute, gab ihr kaum Zeit, den anderen Lebewohl zu sagen. Als sie zu ihm aufsah, seinen strengen, sorgenvollen Blick auf sich spürte und seine Hände auf ihren Schultern, wusste sie mit einem Mal, warum er ihr von der ersten Sekunde an so wichtig gewesen war. Ganz anders wichtig, als Lex es jetzt war.
    Er hatte sie von Anfang an an jemanden erinnert, durchschoss es sie, als sie die ersten Schritte hinunter zum Forsthaus tat. An jemand Wichtigen …
     
    *
     
    Der Mann in Schwarz presste die Hände auf den Tisch, starrte sie an, streng und ernst, und Nanna graute es davor, ihm die Wahrheit zu sagen.
    »Was soll das heißen, bei Freunden?«, fragte er drohend. »Nanna, was spielst du für ein Spiel?«
    Seufzend setzte sich die Heilerin zu ihm an den Tisch.
    »Ach, Isaak … Spricht man so zu einer alten Freundin …?«
    Er griff nach dem heißen Becher, um den ersten Schluck zu nehmen.
    »Ich hatte nicht mit dir gerechnet«, flüsterte die Alte und beugte sich ein Stück nach vorn. »Hast du geschafft, was du dir vorgenommen hast?«
    »Ja«, sagte er. »Ja und nein.«
    Ein Feuer flammte in seinen Augen auf. Nannas Blick fiel auf seine Kette. Unter seinem Mantel verborgen blitzten helle Zähne hervor, die er einen um den anderen auf das lange Lederband gefädelt hatte. Einen Zahn für jeden Feind, der durch seine Hand gestorben war.
    »Ich muss noch mehr von ihnen kriegen!«
    Nanna wusste, von welchen Wesen er sprach. Sie wusste, warum er in seinem Arbeitszimmer Bücher über Bücher angehäuft hatte, die alle nur von ihnen sprachen. Und doch …
    »Ich habe so gehofft, dass du …«, setzte sie an und hielt doch zögernd inne.
    »Ich bin nur hier, um das Mädchen zu holen!«, entgegnete er scharf.
    Sie verlor sich in Gedanken, stellte sich jene Frage, die ihr in diesen Tagen nur allzu oft durch den Kopf geschossen war.
    Wie konnte es sein, dass die drei Wölfe ausgerechnet hier in seinem Haus Zuflucht gefunden hatten? Wie konnte es sein, dass ausgerechnet seine Tochter …?
    Ein leises Knirschen auf dem Flur riss sie aus den Gedanken. Nannas Herz fing an zu rasen. Jemand war hier!
     
    *
    »Ich kann nicht.«
    Mitten am Abhang blieb Fiona stehen. Verblüfft, dass sie es ausgesprochen hatte. Wo sie hier ja doch niemand hören konnte. Ein wenig zu weit noch war das so vertraute Forsthaus, das doch nur auf sie
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